Verlorene Illusionen (German Edition)
Kreis umschattet, und über ihnen schwangen sich dichte Brauen. Auf der braunen Stirn, über der das glattgescheitelte, ebenholzschwarze Haar lag, auf dem jetzt die Lichter glänzten wie auf einer Glasur, thronte ein prächtiger Geist, der an Genie glauben ließ. Aber wie viele Schauspielerinnen war Coralie trotz ihrer Kulissenironie geistlos; trotz ihrer Boudoirerfahrungen fehlte es ihr an Bildung, und sie hatte nur den Geist der Sinnlichkeit und die Güte verliebter Frauen. Konnte man sich übrigens um die Welt des Geistes kümmern, wenn sie den Blick mit ihren runden, glatten Armen, mit ihren spindelförmigen Fingern, ihren leuchtenden Schultern, ihren Brüsten, die an die Brüste erinnerten, die das Hohelied besingt, mit ihrem graziös beweglichen und gebogenen Nacken, mit ihren bewundernswert eleganten Beinen, die jetzt in roter Seide steckten, blendete? Diese Schönheiten einer wahrhaft orientalischen Poesie wurden noch durch die in unsern Theatern herkömmliche spanische Tracht gehoben. Coralie war die Wonne aller Zuschauer, alle Augen hingen an ihrer Taille, die entzückend von der Baskine umschlossen war, und kamen nicht los von ihrem andalusischen Gesäß, über dem der Rock sich in verführerisch kecken Wellenlinien erging. Es gab einen Augenblick, in dem Lucien, als er dieses Geschöpf sah, das nur für ihn spielte und sich um Camusot so wenig kümmerte, wie ein Bengel auf dem Olymp um eine weggeworfene Apfelschale, die Sinnenliebe über die reine Liebe stellte, den Genuß über die Sehnsucht, und der Dämon der Wollust ihm wilde Gedanken eingab.
»Ich weiß nichts von der Lust, die in einem prächtigen Schmause, im Weine, in den stofflichen Freuden steckt«, sagte er sich. »Ich habe bisher mehr im Denken als in der Wirklichkeit gelebt. Ein Mann, der alles schildern will, muß alles kennen. Heute steht mir nun mein erster üppiger Schmaus, meine erste Orgie in einer seltsamen Welt bevor, warum soll ich nicht einmal die berühmten Wonnen kosten, in die sich die großen Herren des vorigen Jahrhunderts stürzten, um mit Sünderinnen zu leben? Wenn es auch nur darum geschähe, sie in die schönen Gefilde der wahren Liebe mit hinüberzuführen; muß man nicht die Freuden, die Vollkommenheiten, die Leidenschaft, die Mannigfaltigkeit, die Raffiniertheit der Liebe bei Kurtisanen und Schauspielerinnen kennenlernen? Ist das nicht schließlich die Poesie der Sinne? Vor zwei Monaten schienen mir diese Frauen Göttinnen, die von unüberwindlichen Drachen behütet wurden; hier ist nun eine, deren Schönheit die Florinens übertrifft, um die ich Lousteau beneidete: warum soll ich vor ihrer Anwandlung fliehen, wenn vornehmste Herren solchen Frauen eine Nacht mit ihren reichsten Schätzen bezahlen? Wenn Hochgestellte den Fuß in diese Höhlen setzen, kümmern sie sich nicht um das, was vorher war und nachher sein wird. Ich wäre ein Esel, wenn ich empfindlicher wäre als Fürsten, besonders wo ich noch keine Frau liebe.« Lucien dachte nicht mehr an Camusot. Nachdem er Lousteau gegenüber den tiefsten Abscheu gegen die widerwärtigste aller Teilhaberschaften ausgesprochen hatte, fiel er in denselben Graben; die Gier erwachte in ihm, der Jesuitismus der Leidenschaft riß ihn fort.
»Coralie ist wild nach Ihnen«, sagte der hereintretende Lousteau zu ihm. »Ihre Schönheit, die der der berühmtesten Marmorstatuen Griechenlands ebenbürtig ist, richtet hinter den Kulissen eine unerhörte Verheerung an. Sie sind glücklich, mein Lieber. Mit ihren achtzehn Jahren kann Coralie in ein paar Tagen sechzigtausend Franken jährlich für ihre Schönheit haben. Sie ist noch ein durchaus ehrbares Mädchen. Ihre Mutter hat sie vor drei Jahren für sechzigtausend Franken verkauft, und sie hat bisher nur Kummer geerntet und dürstet nach dem Glück. Sie ist aus Verzweiflung zum Theater gegangen, sie verabscheute Herrn von Marsay, der sie zuerst besessen hat, und als sie der Galeere entrann – denn der König unserer Dandys hat sie bald freigegeben –, fand sie unsern guten Camusot, den sie kaum liebt; aber er ist wie ein Vater zu ihr, sie duldet ihn und läßt sich lieben. Sie hat schon die großartigsten Vorschläge zurückgewiesen und hält sich an Camusot, der sie nicht quält. Sie sind also ihre erste Liebe. Oh, es war ihr wie ein Pistolenschuß ins Herz, als sie Sie sah, und Florine ist zu ihr in ihr Ankleidezimmer gegangen, um ihr gut zuzureden, denn sie sitzt da und weint über Ihre Kälte. Das Stück wird durchfallen, Coralie
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