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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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kann ihre Rolle nicht mehr, und mit dem Engagement ans Gymnase, das Camusot ihr verschaffen wollte, ist es aus!«
    »Ach!... das arme Mädchen!« sagte Lucien. All seine Eitelkeit fühlte sich von diesen Worten geschmeichelt, und sein Herz war gebläht von Selbstgefühl. »Mein Lieber, mir begegnen an einem Abend mehr Ereignisse als in den ersten achtzehn Jahren meines Lebens.«
    Und Lucien erzählte sein Liebesverhältnis zu Frau von Bargeton und seinen Haß gegen den Baron du Châtelet.
    »Warten Sie mal, unserm Blatt fehlt es gerade an Angriffsstoff, wir werden ihm was versetzen. Dieser Baron ist ein Geck aus der Kaiserzeit, er ist ministeriell, er kommt uns gelegen, ich habe ihn oft in der Oper gesehen. Ihre große Dame seh ich vor Augen, sie ist oft in der Loge der Marquise d'Espard. Der Baron macht Ihrer früheren Geliebten, die übrigens eine recht dürre Person ist, den Hof. Hören Sie! Finot schickt mir eben die Nachricht, daß das Blatt kein Manuskript hat, einer unserer Mitarbeiter, ein Schlingel, der kleine Hector Merlin, spielt uns einen Streich, weil man ihm die Zwischenräume nicht bezahlt. Finot sudelt in Verzweiflung einen Artikel gegen die Oper. Also, mein Lieber, schreiben sie den Artikel über das Stück hier; hören Sie zu, passen Sie auf. Ich will in das Bureau des Direktors gehen und mich auf drei Spalten über Ihren Feind und die schöne Dame, die Sie verstoßen hat, besinnen. Die werden morgen keinen guten Tag haben...«
    »So also kommt das Blatt zustande?« fragte Lucien.
    »Immer so«, antwortete Lousteau. »Ich bin seit zehn Monaten dabei, und das Blatt hat um acht Uhr abends noch nie Manuskript gehabt. Es wird immer geplant, aber nie durchgesetzt, einige Nummern im voraus fertig zu haben. Jetzt ist es zehn Uhr, und es ist noch keine Zeile da. Ich will, damit diese Nummer glänzend wird, Vernou und Nathan bitten, uns etliche zwanzig Bosheiten gegen die Deputierten, den Kanzler Cruzoe, die Minister und, wenns not tut, gegen unsere Freunde zu geben. In solcher Lage wäre man imstande, seinen Vater zu ermorden. Man ist wie ein Seeräuber, der seine Kanonen mit den Talern, die er erbeutet hat, ladet, um sich vor dem Tod zu retten. Schreiben Sie einen recht feinen Artikel, Sie haben dann bei Finot einen großen Stein im Brett: er ist dankbar aus Berechnung. Das ist die beste und solideste Dankbarkeit!« „Was für Menschen sind denn die Journalisten!« rief Lucien. „Wie! Man soll sich an einen Tisch setzen und geistreich sein?...« „Genau wie man eine Lampe anzündet... solange sie noch Öl hat.«
    In dem Augenblick, wo Lousteau die Logentür öffnete, traten der Direktor und du Bruel ein.
    »Werter Herr,« sagte der Verfasser des Stücks zu Lucien, „gestatten Sie mir, daß ich in Ihrem Namen Coralie sage, Sie würden nach dem Souper mit ihr gehen; mein Stück fällt sonst durch. Das arme Mädchen weiß nicht mehr, was sie sagt und was sie tut: sie weint, wenn sie lachen soll, und sie lacht, wenn sie weinen müßte. Man hat schon gezischt. Sie können das Stück noch retten. Übrigens ist das Vergnügen, das Sie erwartet, ja kein Unglück.«
    »Werter Herr, ich habe nicht die Gewohnheit, Nebenbuhler zu haben«, antwortete Lucien.
    »Um Gottes willen, berichten Sie ihr diese Worte nicht,« rief der Direktor, zu dem Schriftsteller gewandt, »Coralie ist imstande, Camusot zum Fenster hinauszuwerfen und sich ganz und gar zugrunde zu richten. Dieser wackere steinreiche Seidenhändler gibt Coralie zweitausend Franken im Monat und zahlt alle ihre Kostüme und ihre Claqueure.«
    »Da Ihr Versprechen mich zu nichts verpflichtet, retten Sie Ihr Stück«, sagte Lucien mit der Miene eines Paschas.
    »Aber Sie dürfen nicht ein Gesicht machen, als ob Sie das reizende Mädchen von sich wiesen«, sagte du Bruel im Ton eines Bittstellers.
    »Schön, ich soll den Artikel über Ihr Stück schreiben und soll zu Ihrer Premiere ein freundliches Gesicht machen. Sei es so!« rief der Dichter.
    Der Autor ging. Vorher aber hatte er noch Coralie ein Zeichen gegeben, die von dem Augenblick an wundervoll spielte. Vignol, der die Rolle eines alten Alkalden übernommen hatte, in der er zum erstenmal sein Talent, Alte zu spielen, enthüllte, konnte inmitten donnernden Beifalls verkünden:
    »Meine Herren, das Stück, das wir die Ehre hatten vor Ihnen zu spielen, ist von den Herren Raoul und de Cursy verfaßt.« »Sieh mal an, Nathan hat mitgearbeitet,»sagte Lousteau, »ich wundere mich nicht mehr, daß er hier

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