Verlorene Illusionen (German Edition)
ist.«
»Coralie! Coralie!»rief das Parterre, das sich erhoben hatte. Aus der Loge, in der sich die beiden Kaufleute befanden, kam eine Donnerstimme, die rief: »Und Florine!«
»Florine und Coralie!« wiederholten nunmehr etliche Stimmen.
Der Vorhang ging in die Höhe, Vignol kam mit den beiden Schauspielerinnen nach vorn, denen Matifat und Camufot jeder einen Kranz zuwarfen, Coralie hob ihren auf und reichte ihn Lucien. Für Lucien waren diese beiden Stunden im Theater wie ein Traum. Die Kulissen hatten, so abscheulich sie aussahen, das Werk der Bezauberung begonnen. Der unschuldige Dichter hatte dort die Luft der Unordnung und der Wollust geatmet. In diesen schmutzigen Gängen, die mit Apparaten und Maschinen voll standen und in denen ölstarrende Lampen blakten, herrscht eine Art Pest, die die Seele verzehrt. Das Leben ist dort nicht mehr heilig und nicht mehr wirklich. Man lacht dort über alles Ernsthafte, und das Unmögliche scheint wahr. Das alles war für Lucien wie ein narkotisches Gift, und Coralie tauchte ihn vollends in eine trunkene Luft. Der Kronleuchter erlosch. Es waren nur noch die Logenschließerinnen im Saal, die die kleinen Bänke wegräumten und die Logen schlossen und damit ein eigentümliches Geräusch machten. Die Rampe, deren Lichter wie eine einzige Kerze erloschen, verbreitete einen entsetzlichen Geruch. Der Vorhang ging wieder hoch. Eine Laterne kam vom Schnürboden herab. Die Feuerwehrleute begannen mit den diensthabenden Angestellten ihre Runde. Auf die feenhafte Szene, auf das Bild der Logen, die mit schönen Frauen gefüllt waren, auf die blendenden Lichter, auf die glänzende Magie der neuen Dekorationen und Kostüme folgten die Kälte, das Dunkel, die gähnende Leere. Es war häßlich. Lucien stand in einem unsagbaren Staunen.
»Nun, kommst du, Kleiner?« sagte Lousteau von der Bühne herunter. »Spring von der Loge hierher.«
Mit einem Satz war Lucien auf der Bühne. Kaum erkannte er Florine und Coralie, die sich umgekleidet hatten und in ihre Mäntel und grobe Decken gehüllt waren. Auf dem Kopf trugen sie Hüte mit schwarzen Schleiern, und ihre ganze Erscheinung erinnerte an Schmetterlinge, die in ihre Larven zurückgekehrt waren.
»Wollen Sie mir die Ehre erweisen, mir Ihren Arm zu geben?« wandte sich Coralie zitternd ihm zu.
»Gern«, sagte Lucien, der das Herz der Schauspielerin wie das eines Vogels, den man in die Hand nimmt, gegen das seine schlagen spürte.
Die Schauspielerin schmiegte sich eng an den Dichter und tat es mit der Wollust einer Katze, die sich weich und warm am Bein ihres Herrn reibt.
»Wir werden also jetzt zusammen soupieren«, sagte sie zu ihm.
Alle vier verließen das Theater und sahen an der Hintertür, die für die Schauspieler bestimmt war und auf die Rue des Fossés-du-Temple hinausging, zwei Droschken halten. Coralie ließ Lucien in den Wagen steigen, in dem sich bereits Camusot und sein Schwiegervater, der alte Cardot, befanden. Sie bot du Bruel ebenfalls einen Platz an. Der Direktor fuhr mit Florine, Matifat und Lousteau.
»Infame Droschken sind das!« sagte Coralie.
»Warum haben Sie keine Equipage?« erwiderte du Bruel.
»Warum?« rief sie schlechtgelaunt. »Ich will es nicht vor Herrn Cardot sagen, der ohne Zweifel seinen Schwiegersohn erzogen hat. Würden Sie es glauben, daß dieser kleine alte Kerl, Herr Cardot, Florentine nur fünfhundert Franken im Monat gibt, gerade genug, um ihre Miete, ihr bißchen Essen und ihre Überschuhe zu bezahlen! Der alte Marquis von Rochegude, der ein Jahreseinkommen von sechsmalhunderttausend Franken hat, bietet mir seit zwei Monaten ein Coupé an. Aber ich bin eine Künstlerin und keine Dirne.«
»Sie werden übermorgen einen Wagen haben,« sagte Camusot freundlich, »aber Sie hatten mich nie darum gebeten.«
»Ist das etwas, worum man bittet, wie? Läßt man eine Frau, die man liebt, im Kot herumpatschen und Gefahr laufen, sich durchs Zufußgeh en die Beine zu brechen? Nur die Ritter von der Elle lieben den Schmutz am Saum eines Kleides.«
Während sie diese Worte so ärgerlich sagte, daß Camusot sich schmerzlich getroffen fühlte, hatte Coralie Luciens Bein gefunden und drückte es zwischen ihren Beinen, sie hatte seine Hand ergriffen und gedrückt. Sie schwieg jetzt und schien einer der unsagbaren Freuden ganz hingegeben, die diese armen Geschöpfe für all ihren vergangenen Kummer und ihr Unglück entschädigen und in ihrer Seele eine Poesie entzünden, die andern Frauen, in deren Leben es
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