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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gesellschaft zu gehen, die um elf Uhr aufhört. Und ich arbeite neben ihr!« fügte er hinzu.
    »Sie haben so viel Phantasie«, antwortete Lucien und machte sich mit diesem einen Wort Vernou zum Todfeind.
    »Nun,« fing Lousteau wieder an, »du kommst also; aber damit noch nicht genug. Herr von Rubempré wird einer der Unseren; tritt also bei deiner Zeitung kräftig für ihn ein; sage, daß er ein Bursche ist, der in der hohen Literatur tüchtig ist, damit er mindestens zwei Artikel im Monat bringen kann.«
    »Ja, wenn er einer der Unseren sein will und unsere Feinde angreift, wie wir die seinen, und für unsere Freunde eintritt, will ich heute abend in der Oper von ihm sprechen«, erwiderte Vernou.
    »Schön also, auf morgen, mein Lieber«, sagte Lousteau und drückte Vernous Hand mit allen Zeichen der lebhaftesten Freundschaft. »Wann erscheint dein Buch?«
    »Ja,« sagte der Familienvater, »das hängt von Dauriat ab; ich bin fertig.«
    »Bist du zufrieden?«
    »Ja und nein...«
    »Wir werden tüchtig einheizen, es muß Erfolg haben«, sagte Lousteau, stand auf und grüßte die Frau seines Kollegen.
    Dieser plötzliche Aufbruch war wegen des Geschreis der beiden Kinder notwendig geworden, die sich zankten und sich mit den Löffeln ins Gesicht schlugen, wobei sie sich gegenseitig mit Suppe beschmierten.
    »Liebes Kind, du hast hier eine Frau gesehen,« sagte Etienne zu Lucien, »die, ohne es zu wissen, in der Literatur wahre Verheerungen anrichtet. Dieser arme Vernou verzeiht uns seine Frau nicht. Man müßte ihn im wohlverstandenen öffentlichen Interesse von ihr befreien. Wir würden uns dann eine Flut wilder Artikel und verhöhnender Notizen gegen alles, was Erfolg und Glück hat, ersparen. Was soll aus einem werden, wenn man eine solche Frau hat und diese zwei gräßlichen Gören dazu? Du hast Rigaudin in dem Stück von Picard gesehen... genau wie Rigaudin wird Vernou sich nicht schlagen, sondern die andern dazu bringen; er ist imstande sich ein Auge auszustechen, wenn dadurch sein bester Freund seine beiden Augen verliert; er wird über Leichen schreiten, zu jedem Unglück lächeln, die Fürsten, die Herzöge, die Marquis, die Adligen angreifen, weil er ein kleiner Bürger ist; er wird berühmte Männer, die Junggesellen sind, angreifen, weil er seine Frau hat, und wird immer Moral predigen und für die häuslichen Freuden und für die Bürgerpflichten sich ins Zeug legen. Kurz, dieser moralische Kritiker wird gegen niemanden sanft sein, nicht einmal gegen die Kinder. Er lebt in der Rue Mandar, zwischen einer Frau, die den Mamamouschi des ›Bourgeois gentilhomme‹ abgeben könnte, und zwei kleinen Vernous, die zwei häßliche Affchen sind; er rächt sich am Faubourg Saint-Germain, wo er niemals Zutritt erlangt, und läßt die Herzoginnen reden, wie seine Frau spricht. Das ist so einer, der gegen die Jesuiten loszieht, den Hof beschimpft, ihm nachsagt, er wolle die Feudalrechte und das Erstgeburtsrecht wiederherstellen, und der einen Kreuzzug für die Gleichheit predigt, nur darum, weil er fühlt, daß er mit keinem Menschen auf gleichem Fuß steht. Wäre er unverheiratet, besuchte die gute Gesellschaft, hätte die Allüren der royalistischen Dichter, die eine Pension aus der Schatulle beziehen, und trüge das Kreuz der Ehrenlegion, so wäre er ein Optimist. Der Journalismus hat viele Existenzen der Art, er ist eine große Wurfmaschine, die von einer Summe kleinen Hasses in Bewegung gesetzt wird. Hast du jetzt Lust, dich zu verheiraten? Vernou hat kein Herz mehr, die Galle hat alles aufgefressen. Daher ist er das Urbild des Journalisten, ein zweihändiger Tiger, der alles zerreißt, wie wenn seine Federn tollwütig wären.«
    »Er ist ein Weiberfeind«, sagte Lucien. »Hat er Talent?«
    »Er hat Witz, ein rechter Artikelschreiber. Vernou macht Artikel und wird immer Artikel schreiben, nichts als Artikel. Und wenn er noch so fleißig arbeitet, wird er auf seine Prosa nie ein Buch pfropfen können. Félicien ist unfähig, ein Werk zu konzipieren, seine Massen richtig zu ordnen, die Personen harmonisch in einen Plan einzugliedern, der einen Anfang, einen Knoten und einen Höhepunkt hat, er hat Ideen, aber keine Ahnung von den Tatsachen, seine Helden sind philosophische oder liberale Utopien, sein Stil schließlich ist von gesuchter Originalität, seine geschwollene Sprache müßte zu Boden fallen, wenn die Kritik nur mit der Nadel hineinstäche. Daher fürchtet er die Zeitungen ungemein, wie alle, welche die

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