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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Glückskind«, meinte Florine. »Wie viele junge Leute sehen wir, die in Paris jahrelang warten müssen, ohne einen einzigen Artikel in einer Zeitung unterzubringen! Sie werden Erfolg haben wie Emile Blondet. Binnen einem halben Jahr sehe ich Sie als gemachten Mann!« Dabei lächelte sie ihn mit leichtem Spotte an.
    »Bin ich nicht seit drei Jahren in Paris,« sagte Lousteau, »und erst seit gestern gibt mir Finot für die Chefredaktion dreihundert Franken festes Gehalt monatlich, zahlt mir für die Spalte hundert Sous und in seinem Wochenblatt hundert Franken für den Bogen.«
    »Nun, Sie sagen gar nichts?« rief Florine und sah Lucien an.
    »Wir wollen sehen«, antwortete Lucien.
    »Mein Lieber,« versetzte Lousteau mit gekränkter Miene, »ich habe alles für dich arrangiert, wie wenn du mein Bruder wärst; aber ich bürge nicht für Finot. In den nächsten zwei Tagen wird Finot von sechzig Burschen bestürmt werden, die ihm Vorschläge machen und sich gegenseitig unterbieten. Ich habe für dich zugesagt, wenn du willst, kannst du ihm absagen. – Du hast keine Ahnung von deinem Glück«, fing der Journalist nach einer Pause wieder an. »Du wirst zu einer Clique gehören, deren Verbündete ihre Feinde in mehreren Blättern angreifen und sich wechselseitig unterstützen.«
    »Suchen wir vor allem Félicien Vernou auf«, erwiderte Lucien, der es eilig hatte, sich mit diesen gefürchteten Raubvögeln zu verbinden.
    Lousteau ließ ein Kabriolett holen, und die beiden Freunde fuhren nach der Rue Mandar, in der Vernou wohnte. Lucien war sehr erstaunt, diesen schroffen, hochmütigen und stolzen Kritiker in einem überaus gewöhnlichen Speisezimmer zu finden, das eine höchst geschmacklose Tapete hatte. An den Wänden hingen Bilder in Aquatinta in vergoldeten Rahmen. Er saß mit einer Frau am Tisch, die zu häßlich war, um nicht legitim zu sein, und zwei kleine Kinder saßen auf sehr hohen Stühlen mit einer Vorrichtung, die das Herausfallen verhinderte. Man sah Félicien an, daß es ihm nicht recht war, in einem Schlafrock überrascht zu werden, der aus den Resten eines Morgenkleides seiner Frau zurechtgemacht war.
    »Hast du gefrühstückt, Lousteau?« fragte er, während er Lucien einen Stuhl anbot.
    »Wir kommen von Florine«, erwiderte Etienne, »und haben dort gefrühstückt.«
    Lucien mußte nur immer Frau Vernou ansehen, die wie eine biedere, plumpe Köchin aussah, ziemlich sauber, aber unbeschreiblich gewöhnlich. Frau Vernou trug ein Tuch über einer Haube, deren Bänder so fest gebunden waren, daß die Backen wie ein Wulst hervorquollen. Ihr Morgenrock hatte keinen Gürtel, war am Hals mit einem Knopf geschlossen, fiel in großen Falten herunter und saß ihr so schlecht, daß man bei ihrem Anblick an einen Grenzpfahl denken mußte. Sie war sehr kränklich, ihre Backen hatten einen fast violetten Ton, und die Finger saßen ihr an den Händen wie Würste. Diese Frau erklärte Lucien mit einemmal, warum Vernou in seinem Verkehr mit der Welt so niedergedrückten Wesens sei. Er litt unter seiner Ehe, hatte nicht die Kraft, Frau und Kinder zu verlassen, war aber Dichter genug, um immer davon gequält zu werden, und ärgerte sich in dieser Stimmung über jeden Erfolg, den ein anderer hatte; er mußte mit allem unzufrieden werden, weil er unzufrieden mit sich war. Lucien verstand nun den scharfen Ausdruck, der die neidischen Mienen dieses Mannes fast zu Eis erstarrte, die Bitterkeit seiner Repliken, all die Herbheit seiner Sprache, die immer spitzig war und wie ein Dolch zustieß.
    »Gehen wir in mein Arbeitszimmer,« sagte Félicien und stand auf, »es handelt sich jedenfalls um literarische Angelegenheiten.«
    »Ja und nein«, versetzte Lousteau. »Alter Freund, es handelt sich um ein Souper.«
    »Ich wollte Sie«, sagte Lucien, »im Namen Coralies bitten...«
    Hier hob Frau Vernou den Kopf in die Höhe.
    »... heute über acht Tage mit uns zu soupieren«, fuhr Lucien fort. »Sie finden die Gesellschaft bei ihr, die Sie bei Florine getroffen haben, und dazu noch Frau du Val-Noble, Merlin und etliche andere. Wir werden spielen.«
    »Aber, mein Lieber, an dem Tag müssen wir zu Frau Mahoudau gehen«, sagte die Frau.
    »Ja, und was macht das?« sagte Vernou. »Wenn wir nicht hingingen, wäre sie ärgerlich, und du kannst sie gut brauchen, da sie dir deine Buchhändlerwechsel diskontiert.«
    »Mein Lieber, diese Frau begreift nicht, daß ein Souper, das um zwölf Uhr nachts beginnt, einen nicht hindert, in eine

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