Verlorene Illusionen (German Edition)
Freunde ihn zum letztenmal ans Herz gedrückt hatten. Als er über die Place de la Sorbonne in die Rue de Cluny ging, sah er die Equipage Coralies. Die Schauspielerin war vom Boulevard du Temple bis zur Sorbonne gefahren, um ihren Dichter einen Augenblick zu besuchen und ihm rasch Guten Abend zu sagen. Lucien fand seine Geliebte ganz in Tränen über den Anblick seiner Dachkammer; sie wollte arm sein wie ihr Geliebter, sie weinte, wahrend sie die Hemden, Handschuhe, Halsbinden und Taschentücher in seiner elenden Kommode ordnete. Diese Verzweiflung war so aufrichtig und so groß, sie sprach von so viel Liebe, daß Lucien, dem man vorgeworfen hatte, eine Schauspielerin zu lieben, in Coralie eine Heilige sah, die bereit war, das härene Hemd der Armut zu tragen. Um kommen zu können, hatte das entzückende Geschöpf den Vorwand genommen, ihrem Freund die Mitteilung zu machen, daß die Gesellschaft Camusot, Coralie und Lucien sich bei der Gesellschaft Matifat, Florine und Lousteau für ihr Souper revanchiere, und Lucien zu fragen, ob er eine Einladung vorschlagen wollte, die ihm nützlich wäre; Lucien antwortete ihr, er würde darüber mit Lousteau sprechen. Die Schauspielerin ging nach einigen Augenblicken wieder, ohne Lucien mitzuteilen, daß Camusot sie unten erwartete. Am nächsten Morgen begab sich Lucien schon um acht Uhr zu Etienne, fand ihn nicht und eilte zu Florine. Der Journalist und die Schauspielerin empfingen ihren Freund in dem hübschen Schlafzimmer, in dem sie sich wie ein Ehepaar häuslich niedergelassen hatten, und sie setzten sich zu dritt an ein üppiges Frühstück.
»Lieber Freund,« sagte Lousteau zu ihm, als sie so am Tische saßen, nachdem Lucien ihm die Mitteilung von dem Souper gemacht hatte, das Coralie geben wollte, »ich rate dir, mit mir Félicien Vernou zu besuchen, ihn einzuladen und dich ihm so weit anzuschließen, wie es bei einem so absonderlichen Menschen nur möglich ist. Félicien wird dir vielleicht den Zugang zu der politischen Zeitung verschaffen, für die er das Feuilleton zu machen hat, und vielleicht bringst du es dahin, daß du über dem Strich in diesem Blatt so viel große Artikel, wie du willst, bringen kannst. Dieses Blatt gehört wie unseres der liberalen Partei; du wirst Liberaler sein, das ist die Partei, die jetzt volkstümlich ist; und überdies, wenn du dich auf die Seite des Ministeriums schlagen wolltest, hättest du mehr Vorteile, wenn sie dich erst fürchten gelernt haben. Haben dich Hector Merlin und seine Madame du Val-Noble nicht mit Coralie zum Diner geladen? Dort verkehren etliche große Tiere, die jungen Stutzer und die Millionäre«
»O ja,« erwiderte Lucien, »und du wirst mit Florine auch dort sein.«
Lucien und Lousteau hatten am Freitag in ihrer Bezechtheit und während ihres Diners am Montag angefangen, sich zu duzen.
»Nun also, wir werden Merlin auch beim Blatte haben, er wird sich Finot eng anschließen; du wirst guttun, ihn gut zu behandeln. Lade ihn mit seiner Geliebten zu deinem Souper ein; er wird dir vielleicht binnen kurzem nützlich sein, denn gehässige Menschen brauchen alle Welt, und er wird dir zu Diensten sein, um im Notfall deine Feder zu haben.«
»Ihr Debüt hat so viel Aufsehen gemacht, daß Sie kein Hindernis finden werden,« sagte Florine zu Lucien; »eilen Sie sich und machen Sie es sich zunutze, sonst werden Sie schnell vergessen.«
»Das Geschäft,« fing Lousteau wieder an, »das große Geschäft ist fix und fertig! Dieser Finot, dieser talentlose Bursche ist Herausgeber und Chefredakteur von Dauriats Wochenblatt, ist Besitzer eines Sechstels, das ihm nichts kostet, und bezieht sechshundert Franken im Monat. Ich, mein Lieber, bin seit diesem Morgen Chefredakteur unseres Blättchens. Alles ging, wie ich es jüngst voraussagte: Florine war großartig, sie sticht Talleyrand aus.«
»Wir packen die Männer bei ihrer Lust,« sagte Florine, »die Diplomaten packen sie nur bei der Selbstsucht; die Diplomaten sehen nur, wie sie sich zieren, und wir sehen, wie sie Dummheiten machen; wir sind also die Stärkeren.«
»Als er abschloß,« sagte Lousteau, »hat Matifat den einzigen Witz gemacht, den er je in seinem Drogistendasein aussprechen wird: ›Das Geschäft‹, sagte er, ›fällt nicht aus dem Rahmen meiner kaufmännischen Tätigkeit!‹«
»Ich habe Florine im Verdacht, daß sie ihm das souffliert hat«, rief Lucien.
»Also, mein Lieber,« fuhr Lousteau fort, »du hast den Fuß im Steigbügel.«
»Sie sind ein
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