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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Hilfssegel des Lobes brauchen, um sich über Wasser zu halten.«
    »Was das für ein famoser Artikel ist, den du da verfaßt!« rief Lucien. »Artikel von der Art, mein Junge, darf man sich nur sagen, muß sie aber beileibe nicht schreiben.«
    »Du wirst Chefredakteur«, erwiderte Lucien.
    »Wo soll ich dich absetzen?« fragte ihn Lousteau.
    »Bei Coralie.«
    »Ah! wir sind verliebt«, sagte Lousteau.
    »Sehr verkehrt! Mach aus Coralie, was ich aus Florine mache, eine Wirtschafterin, aber die Freiheit über alles!«
    »Du könntest Heilige der Verdammnis übergeben«, rief Lucien und lachte.
    »Man verdammt Dämonen nicht«, erwiderte Lousteau.
    Der leichte, glänzende Ton seines neuen Freundes, die Art, wie er das Leben behandelte, seine Paradoxa, denen die wahren Maximen des Pariser Machiavellismus beigemischt waren, übten, ohne daß er es merkte, ihre Wirkung auf Lucien. In der Theorie erkannte unser Dichter die Gefahr dieser Gedanken, aber in der Praxis fand er sie nützlich. Als die beiden Freunde beim Boulevard du Temple angelangt waren, verabredeten sie, sich zwischen vier und fünf Uhr auf der Redaktion zu treffen, wo sie Hector Merlin sicherlich vorfinden würden. Lucien war in der Tat eine Beute der aufrichtigen Liebe der Kurtisanen geworden, die ihre Enterhaken an den zartesten Plätzen der Seele einschlagen, sich mit einer unglaublichen Schmiegsamkeit allen Wünschen anpassen und die erschlaffenden Gewohnheiten begünstigen, in denen ihre Stärke wurzelt. Er dürstete schon nach den Pariser Genüssen, er liebte das leichte, üppige und prächtige Leben, das ihm die Schauspielerin bei sich zu Hause bereitete. Er fand Coralie und Camusot außer sich vor Freude. Das Gymnase hatte für nächste Ostern einen Engagementsantrag gemacht, dessen im einzelnen formulierte Bedingungen Coralies kühnste Hoffnungen übertrafen.
    »Wir verdanken Ihnen diesen Triumph«, sagte Camusot.
    »O gewiß! Ohne ihn wäre der Alkalde durchgefallen«, rief Coralie. »Es wäre kein Artikel geschrieben worden, und ich wäre noch sechs Jahre an diesem Boulevardtheater.«
    Sie fiel ihm, ohne auf Camusot zu achten, um den Hals. Die Hingebung dieser Schauspielerin hatte in ihrer Plötzlichkeit etwas Weiches, in all ihrer Leidenschaftlichkeit etwas Sanftes: sie liebte! Wie es alle Menschen tun, wenn sie großen Schmerz empfinden, senkte Camusot seine Augen zu Boden und sah am Rande von Luciens Stiefeln die farbige Naht, wie sie von den berühmten Schuhmachern angebracht wird, die sich in dunklem Gelb von dem leuchtenden Schwarz des Schaftes abhob. Die originelle Farbe dieses Fadens hatte ihn während seines Monologs über die rätselhafte Anwesenheit eines Paars Herrenstiefel vor Coralies Kamin beschäftigt. Er hatte auf dem weißen, zarten Leder des Futters in schwarzen Lettern die Adresse eines damals berühmten Schuhmachers gelesen: »Gay, Rue de la Michodière«.
    »Sie haben sehr schöne Stiefel«, sagte er zu Lucien.
    »Es ist alles schön an ihm«, erwiderte Coralie. »Ich möchte mir gern bei Ihrem Schuhmacher meine Stiefel machen lassen.«
    »Oh!« rief Coralie, »das ist echte Rue des Bourdonnais, jemanden nach der Adresse eines Handwerkers zu fragen! Wollen Sie Schuhwerk wie ein junger Mann tragen? Sie, würden sich hübsch ausnehmen! Behalten Sie doch Ihre Stulpenstiefel, wie sie sich für einen gesetzten Mann gehören, der Frau, Kinder und Geliebte hat.«
    »Trotzdem würde mir der junge Herr einen großen Dienst erweisen, wenn er einen seiner Stiefel ausziehen wollte«, sagte Camusot hartnäckig.
    »Ich könnte sie ohne einen Stiefelanzieher nicht wieder anbekommen«, sagte Lucien und wurde rot.
    »Berenice kann einen holen. Es kann nichts schaden, wenn einer da ist«, antwortete Camusot mit einer ingrimmig spöttischen Miene.
    »Papa Camusot,« sagte Coralie und warf ihm einen Blick der stärksten Verachtung zu, »haben Sie doch den Mut Ihrer Feigheit! Sagen Sie doch alles, was Sie denken. Sie finden, die Stiefel des Herrn sehen gerade so aus wie meine? – Ich verbiete Ihnen, Ihre Stiefel auszuziehen«, sagte sie zu Lucien. »Ja, Herr Camusot, jawohl, die Stiefel sind genau die nämlichen wie die, die jüngst vor meinem Kamin standen, und sie gehörten dem Herrn, der hier im Nebenzimmer versteckt war und hier die Nacht zugebracht hat. Nicht wahr, das denken Sie? Denken Sie es, ich will es! Es ist die reine Wahrheit. Ich betrüge Sie. Und was weiter? Es beliebt mir so!«
    Sie setzte sich, ohne Zorn und mit der ruhigsten

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