Verlorene Illusionen (German Edition)
die Sprache vergewaltigen, um die modernen Verschrobenheiten zu schildern, die manche Frauen betreiben. Ihr Geist entzündete sich überdies gerade an ihrer Sprache. Der Dithyrambus war in ihrem Herzen wie auf ihren Lippen. Um jeden Vorfall bebte sie, fiel in Ohnmacht oder wurde hingerissen um die Aufopferung einer Grauen Schwester und die Hinrichtung der Brüder Faucher, um die »Ibsiboe« d'Harlincourts wie für die »Anaconda« von Lewis, um die Flucht des La Valette wie um eine ihrer Freundinnen, die mit lauter Stimme Diebe in die Flucht gejagt hatte. Für sie war alles erhaben, außerordentlich, seltsam, göttlich, wunderbar. Sie regte sich auf, wurde wütend, verzagte, schwang sich auf, klappte wieder zusammen, betrachtete den Himmel oder die Erde, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie verbrauchte ihr Leben in unausgesetztem Bewundern und verzehrte sich in seltsamem Verachten. Sie war begeistert für den Pascha von Janina, sie hatte Lust, mit ihm in seinem Serail zu kämpfen, und fand etwas Großes darin, in einen Sack genäht und ins Meer geworfen zu werden. Sie beneidete Lady Esther Stanhope, diesen Blaustrumpf der Wüste. Sie bekam Lust, eine Schwester vom Orden der heiligen Kamilla zu werden und zur Pflege der Kranken nach Barcelona zu gehen, um dort am gelben Fieber zu sterben: das war ein großes, edles Los! Kurz, sie dürstete nach allem, was nicht das seichte, stehende Wasser ihres Daseins war. Sie betete Lord Byron oder Jean Jacques Rousseau an, wie alle poetischen und dramatischen Persönlichkeiten. Sie hatte Tränen für alles Elend und triumphierte über alle Siege. Sie hatte Mitgefühl mit dem besiegten Napoleon und ebenso mit Mehemet Ali, der die Tyrannen Ägyptens niedermetzelte. Kurz, sie sah die genialen Menschen mit einem Glorienschein umgeben und glaubte, sie lebten von Duft und Licht. Vielen Leuten erschien sie als eine harmlose Geisteskranke; aber einem guten Beobachter wären diese Dinge als Trümmer einer wundervollen Liebe erschienen, die ebenso schnell wieder einstürzte, wie sie erbaut war, die Reste eines himmlischen Jerusalem, kurz, die Liebe ohne den Liebenden. Und so war es auch. Die Geschichte der achtzehn ersten Jahre der Ehe der Frau von Bargeton ist in wenig Worten erzählt. Sie lebte eine Zeitlang von sich selbst und von fernen Hoffnungen. Dann merkte sie, daß ihr geringes Vermögen ihr nicht erlaubte, wie sie es erstrebte, in Paris zu leben, und ging daran, die Personen ihrer Umgebung zu prüfen. Es schauderte ihr über ihre Einsamkeit. Es gab in ihrer Nähe keinen Mann, der sie zu irgendeiner Tollheit hätte bringen können, zu einer der Tollheiten, zu denen die Frauen die Verzweiflung über ein Leben ohne Sinn, ohne Ereignis, ohne Interesse hinreißt. Sie konnte auf nichts rechnen, nicht einmal auf den Zufall, denn es gibt Lebensläufe, denen der Zufall fehlt. Zu der Zeit, wo das Kaiserreich in seinem ganzen Glanze strahlte, als Napoleon nach Spanien fuhr und seine edelsten Truppen hinschickte, erwachten die Hoffnungen dieser Frau, die bis dahin immer enttäuscht worden waren. Die Neugier trieb sie natürlich, diese Helden zu sehen, die sich anschickten, auf eine Parole hin Europa zu erobern, und die die sagenhaften Ausfahrten des Rittertums wieder erneuerten. Die geizigsten und reaktionärsten Städte waren genötigt, der kaiserlichen Garde Feste zu geben, die Maires und die Präfekten mit feierlichen Ansprachen zum Empfang zu schicken, wie wenn ein König in die Stadt käme. Frau von Bargeton, die zu einem Ball gegangen war, den ein Regiment der Stadt gegeben hatte, verliebte sich in einen Edelmann, einen einfachen Unterleutnant, dem der schlaue Napoleon den Marschallstab Frankreichs gezeigt hatte. Diese verhaltene edle, große Liebe, die in Gegensatz stand zu den Liebesabenteuern, die damals so leicht begannen und so schnell wieder endeten, wurde von der Hand des Todes geheiligt. Bei Wagram zertrümmerte eine Kanonenkugel über dem Herzen des Marquis von Cante-Croix das einzige Bildnis, das von der Schönheit der Frau von Bargeton Kunde gab. Sie beweinte diesen jungen Mann lange Zeit, der, vom Ruhm und von der Liebe angefeuert, in zwei Feldzügen es bis zum Oberst gebracht hatte und dem ein Brief von Naïs lieber war als alle Gunstbeweise des Kaisers. Der Schmerz legte über das Gesicht dieser Frau einen Schleier von Traurigkeit. Dieses Gewölk zerstreute sich erst in dem schrecklichen Alter, wo die Frau anfängt, sehnsüchtig nach ihren schönen Jahren
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