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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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zurückzublicken, die vorübergegangen sind, ohne daß sie sie genossen hat, wo ihre Rosen zu welken beginnen, wo die Sehnsucht nach Liebe wiedererwacht und mit ihr das Verlangen, das letzte Lächeln der Jugend noch nicht schwinden zu sehen. Alle ihre überlegenen Eigenschaften taten ihrer Seele weh, da der tödliche Frost der Provinz sie befiel. Wie der Hermelin wäre sie vor Ekel gestorben, wenn sie sich in der Berührung mit Männern beschmutzt hätte, die keinen andern Gedanken hatten, als am Abend nach dem Essen um ein paar Pfennige zu spielen. Ihr Stolz bewahrte sie vor den traurigen Liebeshändeln der Provinz. Bei der Wahl zwischen der Nichtigkeit der Männer, die sie umgaben, und dem Nichts mußte eine so überlegene Frau das Nichts vorziehen. Die Ehe und die Welt waren so für sie ein Kloster. Sie lebte von der Dichtung, wie die Karmeliterin von der Religion. Die Werke der berühmten Ausländer, die bis dahin unbekannt gewesen waren und in den Jahren 1815-1821 veröffentlicht wurden, die großen Schriften der de Bonald und de Maistre, dieser beiden kühnen Denker, endlich die weniger großartigen Werke der jungen französischen Literatur, die so kräftig ihre ersten Zweige trieb, verschönten ihre Einsamkeit, machten aber weder ihren Geist noch ihren Charakter fügsamer. Sie blieb aufrecht und stark wie ein Baum, der vom Blitz getroffen wurde und stehen geblieben ist. Ihre Würde wurde geschraubt, ihre königliche Haltung machte sie preziös und klügelnd. Wie alle, die sich von beliebigen Hofmachern anbeten lassen, saß sie mitsamt ihren Fehlern auf dem Thron. Das war die Vergangenheit der Frau von Bargeton, kurz und kalt erzählt, wie es notwendig war, um ihre Verbindung mit Lucien verständlich zu machen, der seltsam genug bei ihr eingeführt wurde. Während des letzten Winters war eine Persönlichkeit in die Stadt gekommen, die das eintönige Dasein, das Frau von Bargeton führte, belebt hatte. Die Stelle des Direktors der indirekten Steuern war erledigt gewesen, und Herr von Barante besetzte sie mit einem Manne, dessen abenteuerliches Schicksal genügend für ihn einnahm, daß weibliche Neugier ihm den Zutritt zur Königin des Landes verschaffte.
    Herr du Châtelet, der als einfacher Sixtus Châtelet zur Welt gekommen war, aber im Jahre l806 den guten Einfall gehabt hatte, sich adeln zu lassen, war einer der angenehmen jungen Leute, die unter Napoleon dadurch allen Aushebungen entgingen, daß sie in der Nähe der kaiserlichen Sonne weilten. Er hatte seine Karriere als Geheimsekretär einer kaiserlichen Prinzessin begonnen. Herr du Châtelet war im Besitz aller Unfähigkeiten, die seine Stellung erforderte. Er war ein wohlgebauter, hübscher Mann, ein guter Tänzer, geschickter Billardspieler, gewandt in allen Leibesübungen, ein mäßiger Schauspieler bei Liebhaberaufführungen, ein Romanzensänger, gab ein gutes Publikum für Witze ab, war zu allem bereit, schmiegsam, mißgünstig, und wußte alles und nichts. Er verstand nichts von Musik und konnte eine Dame schlecht und recht am Klavier begleiten, wenn sie aus Gefälligkeit eine Romanze singen wollte, die sie einen Monat lang mit unsäglicher Mühe geübt hatte. Er hatte keinerlei Sinn für Poesie und pflegte in Gesellschaft keck um die Erlaubnis zu bitten, zehn Minuten auf und ab gehen zu dürfen, um etwas zu improvisieren, irgendeinen Vierzeiler, der platt wie ein Pfannkuchen war und in dem der Reim den Gedanken ersetzen mußte. Herr du Châtelet besaß auch das Talent, die Stickerei auszufüllen, deren Blumen von der Prinzessin angefangen worden waren; er hielt mit unbeschreiblicher Grazie die Seidensträhnen, die sie aufspulte, und sagte ihr dabei Nichtigkeiten, in denen die Zote unter einem mehr oder weniger durchlöcherten Schleier versteckt war. Er verstand nichts von Malerei und konnte eine Landschaft kopieren, ein Profil zeichnen oder ein Kostüm entwerfen und kolorieren. Kurz, er hatte all die kleinen Talente, die in einer Zeit, in der die Frauen mehr Einfluß auf die Geschäfte gehabt haben, als man glaubt, von so großem Wert für die Karriere waren. Er spielte sich als stark in der Diplomatie auf, in der Wissenschaft derer, die keine haben und die tief sind infolge ihrer Leere, einer Wissenschaft, die überdies sehr bequem ist, indem sie sich nämlich durch die Ausübung so hoher Verrichtungen wie folgende betätigt: da sie diskrete Menschen braucht, erlaubt sie denen, die nichts wissen, nichts zu sagen, sich auf geheimnisvolles Wiegen

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