Verlorene Illusionen (German Edition)
geschnitten, seine noch weißen Zähne standen über die Lippen vor wie bei einem Pferd, das das Maul aufsperrt. Der Kontrast seiner Augen und das Grinsen dieses Mundes, das alles zusammen gab ihm ein wildes Aussehen. Seine harten, spitzen Barthaare mußten stechen wie Nadeln. Ein fadenscheiniger Rock, der schon fast wie Zunder aussah, eine fast farblos gewordene schwarze Binde, die von seinem Bart abgewetzt worden war und die einen Hals sehen ließ, der runzelig war wie der eines Puters, zeigten, daß ihr Träger keinen Wert darauf legte, den Eindruck seiner furchtbaren Physiognomie durch Toilettekünste zu mildern. Die beiden Journalisten fanden diesen Mann in einem gräßlich schmutzigen Kontor sitzen; er war damit beschäftigt, auf die Rücken etlicher alter Bücher, die er wohl auf einer Versteigerung erstanden hatte, Schilder zu kleben. In einem raschen Blick tauschten sie die tausend Fragen aus, die der Anblick einer solchen Persönlichkeit erregen mußte; dann grüßten Lucien und Lousteau und überreichten ihm den Brief Gabussons und die Wechsel von Fendant & Cavalier. Während Samanon las, betrat ein Mann von sehr geistvollem Aussehen den dunklen Raum. Er war mit einem sonderbaren kurzen Rock bekleidet, der wie aus Zink geschnitten aussah, so fest war er durch die Legierung mit tausend fremden Stoffen geworden.
»Ich brauche meinen Rock, meine schwarzen Hosen und meine Atlasweste«, sagte er zu Samanon und überreichte ihm eine numerierte Karte.
Samanon zog an dem Kupfergriff einer Glocke, und sofort kam ein weibliches Wesen herunter, die, nach der frischen Farbe ihres Gesichts zu schließen, eine Normannin zu sein schien.
»Leih dem Herrn seine Kleider«, sagte er und streckte dem Schriftsteller die Hand hin. »Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen zu arbeiten; aber einer Ihrer Freunde hat mir einen jungen Mann gebracht, der mich scheußlich hineingelegt hat!«
»Ihn legt man hinein!« sagte der Künstler zu den beiden Journalisten mit einer überaus drolligen Handbewegung.
Wie die Lazzaroni, um vom Leihhaus ihre Feiertagskleider für einen Tag zurückzuerhalten, zu tun pflegen, gab der große Mann dreißig Sous hin, die der Diskontierer mit seiner gelben, rissigen Hand erraffte und in die Kasse seines Kontortisches warf.
»Was für einen seltsamen Handel machst du?« sagte Lousteau zu dem großen Künstler, der dem Opiumgenuß ergeben war und, wenn er in den Zauberpalästen geweilt hatte, nichts arbeiten wollte oder konnte.
»Der Mann gibt auf verpfändbare Dinge viel mehr als das amtliche Leihhaus, und er hat überdies die große Gnade, sie einem für die Fälle, wo man gut angezogen sein muß, zur Verfügung zu stellen«, antwortete er. »Ich will heute abend mit meiner Geliebten bei den Kellers dinieren. Es fällt mir leichter, dreißig Sous zu haben als zweihundert Franken, und ich hole wieder einmal meine Garderobe, die in einem halben Jahre diesem barmherzigen Wucherer hundert Franken eingebracht hat. Samanon hat schon meine Bibliothek Buch für Buch geschluckt.«
»Und Sous für Sous«, lachte Lousteau.
»Ich gebe Ihnen fünfzehnhundert Franken«, sagte Samanon zu Lucien.
Lucien zuckte zusammen, wie wenn der Diskontierer ihm ein glühendes Eisen ins Herz gestoßen hätte. Samanon sah die Wechsel prüfend an und stellte die Daten fest.
»Und vorher«, sagte der Händler, »muß ich erst noch Fendant sehen, der mir zur Sicherheit Bücher geben muß. Sie bieten keine besondere Garantie,« sagte er zu Lucien; »Sie leben mit Coralie, und Ihre Möbel sind gepfändet.«
Lousteau warf Lucien einen Blick zu; der nahm rasch seine Wechsel, sprang aus dem Laden auf den Boulevard und rief: »Ist das der Teufel?«
Der Dichter betrachtete ein paar Augenblicke diesen kleinen Laden, über den alle Vorübergehenden lächeln mußten, so armselig war er, und so kläglich und schmutzig sahen die kleinen Regale mit etikettierten Büchern aus. Jeder mußte sich fragen: Was für eine Art Geschäft mag da betrieben werden?
Einige Augenblicke später verließ der große Unbekannte, der zehn Jahre später sich an dem ungeheuren Unternehmen der Saint-Simonisten, dem nur die Grundlage fehlte, beteiligen sollte, sehr gut gekleidet den Laden, lächelte den beiden Journalisten zu und schlug mit ihnen die Richtung nach der Panorama-Passage ein, um dort zur Vervollständigung seiner Toilette seine Stiefel wichsen zu lassen.
»Wenn man Samanon bei einem Verleger, einem Papierhändler oder einem Drucker eintreten sieht,
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