Verlorene Illusionen (German Edition)
Romantiker, die Rechte und die Regierung angegriffen; Sie können nicht jetzt die Regierung, die Rechte und die Romantiker in Schutz nehmen.«
»Die Gründe, die mein Handeln bestimmen, beruhen auf höheren Erwägungen, der Ausgang wird alles rechtfertigen«, sagte Lucien.
»Sie verstehen vielleicht die Lage nicht, in der wir uns befinden«, sagte Léon Giraud zu ihm. »Die Regierung, der Hof, die Bourbonen, die absolutistische Partei oder, wenn Sie alles in einem allgemeinen Ausdruck beisammen haben wollen, das System, das sich dem Konstitutionalismus entgegenstellt, teilt sich in mehrere Fraktionen, die sehr verschiedener Meinung sind, wenn es sich um die Mittel zur Erstickung der Revolution handelt, die aber wenigstens über die Notwendigkeit, die Presse zu unterdrücken, einig sind. Die Gründung des ›Réveil‹, des ›Foudre‹, des ›Drapeau blanc‹, die alle dazu bestimmt sind, auf die Verleumdungen, die Beschimpfungen und den Spott der liberalen Presse zu antworten, die ich in diesem Punkte mißbillige – denn diese Verkennung der Größe unseres heiligen Amtes hat uns ja gerade dazu gebracht, ein würdiges und ernsthaftes Blatt herauszugeben, dessen Einfluß binnen kurzem bedeutungsvoll und spürbar sein wird, das Macht haben und doch seine Würde behaupten wird,« fügte er wie als Anmerkung hinzu –, »diese royalistische und ministerielle Artillerie ist also ein erster Versuch der Vergeltung, und mit ihr soll den Liberalen Streich um Streich, Wunde um Wunde heimgezahlt werden. Was, glauben Sie, daß kommen wird, Lucien? Die Mehrzahl der Abonnenten steht auf der Seite der Linken. In der Presse wie im Krieg ist der Sieg auf der Seite der großen Bataillone! Ihr werdet Niederträchtige, Lügner und Volksfeinde sein. Die andern werden Vaterlandsverteidiger, Ehrenmänner, Märtyrer sein, obwohl sie vielleicht heuchlerischer, perfider sind als ihr. Dieses Mittel wird den verderblichen Einfluß der Presse verstärken, es wird seine gehässigsten Ausschreitungen legitimieren und heiligen. Die Beleidigung und der Kampf gegen die Person wird eines ihrer öffentlichen Rechte werden, wird zugunsten der Abonnenten von beiden Parteien geübt werden und dadurch, daß der Brauch auf beiden Seiten derselbe ist, für unabänderlich und zu Recht bestehend angesehen werden. Wenn das Übel sich in seiner ganzen Ausdehnung offenbart hat, werden die Restriktiv- und Prohibitivgesetze, die Zensur, die aus Anlaß der Ermordung des Herzogs von Berry eingeführt und seit der Kammereröffnung aufgehoben wurde, wiederkommen. Wissen Sie, was das französische Volk aus diesem Streit für einen Schluß ziehen wird? Es wird die Verdächtigungen der liberalen Presse für bare Münze nehmen, wird glauben, daß die Bourbonen die materiellen Resultate, die die Revolution gebracht hat, antasten wollten, wird sich eines schönen Tages erheben und die Bourbonen verjagen. Also nicht nur beflecken Sie Ihr Leben, sondern Sie stehen eines Tages in den Reihen der besiegten Partei. Sie sind zu jung und noch zu neu in der Presse, Sie wissen zu wenig von ihrem geheimen Räderwerk und ihren Methoden; Sie haben zuviel Neid erregt, um sich gegen das allgemeine Zetergeschrei, das sich in den liberalen Blättern erheben wird, halten zu können. Sie werden von der Wut der Parteien, die noch im Paroxysmus des Fiebers stehen, fortgerissen werden; nur ist ihr Fieber aus dem Bereich der brutalen Handlungen von 1815 und 1816 in die Ideen, die Redeschlachten der Kammer und die Debatten der Presse übergegangen.«
»Liebe Freunde,« sagte Lucien, »ich bin nicht mehr der unerfahrene junge Dichter, den ihr in mir sehen möchtet. Was auch eintreten mag, ich werde einen Vorteil erringen, den der Sieg der liberalen Partei mir nicht geben kann. Bis ihr den Sieg habt, ist die Sache, um die es sich handelt, in Ordnung.«
»Wir schneiden dir dann ... die Haare ab«, sagte Michel Chrestien lachend.
»Ich werde bis dahin Kinder haben,« erwiderte Lucien, »und wenn ihr mir dann den Kopf abschneidet, ist es noch ebenso, als wenn ihr mir gar nichts abschneidet.«
Die drei Freunde verstanden Lucien nicht, sie wußten nicht, daß seine Beziehungen mit der vornehmen Welt in ihm im höchsten Maße den Adelsstolz und die Aristokrateneitelkeit geweckt hatten. Der Dichter sah übrigens mit Recht in seiner Schönheit und seinem Geiste, wenn sie sich auf den Namen und den Titel eines Grafen von Rubempré stützten, die Grundlage zu einem ungeheuren Vermögen. Frau d'Espard,
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