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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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blasiert sind, geben sie sich ungeheure Mühe, sich ihrer Gleichgültigkeit zu entreißen. Wer sich darauf versteht, sie zu studieren, findet immer eine Manie, einen Winkel ihres Herzens, wo sie zugänglich sind. Chaboisseau schien im Altertum wie in einem uneinnehmbaren Lager verschanzt.
    »Er paßt recht gut in seine Einrichtung«, sagte Etienne lächelnd zu Lucien.
    Chaboisseau war ein kleiner Mann mit gepuderten Haaren, einem grünlichen Rock und einer haselnußbraunen Weste, er trug schwarze Kniehosen, bundgewebte Strümpfe und Schuhe, die an den Füßen knarrten. Er nahm die Wechsel, sah sie prüfend an; dann gab er sie Lucien ernst zurück.
    »Die Herren Fendant und Cavalier sind reizende Menschen, überaus gescheite junge Männer; aber ich habe leider jetzt kein Geld«, sagte er mit sanfter Stimme. »Mein Freund wird wegen des Diskonts keine Schwierigkeiten machen«, erwiderte Etienne. »Ich nehme diese Wechsel um keinen Preis«, sagte der kleine Mann, und seine Worte schnitten die Bemerkung Lousteaus ab, wie das Beil der Guillotine den Kopf eines Menschen.
    Die beiden Freunde schickten sich zum Gehen an; als sie durch das Vorzimmer gingen, bis zu dem Chaboisseau sie höflich begleitete, bemerkte Lucien einen Stoß alter Bücher, die der Bankier, der früher Buchhändler war, gekauft hatte; unter ihnen bemerkte unser Romanschriftsteller plötzlich das Werk des Architekten Ducerceau über die königlichen Schlösser und die berühmten Paläste Frankreichs, deren Pläne in diesem Buch mit großer Genauigkeit gezeichnet sind.
    »Wollen Sie mir dieses Werk ablassen?« fragte Lucien.
    »Ja«, sagte Chaboisseau, der sich aus einem Bankier wieder in einen Buchhändler verwandelte. »Was soll es kosten?«
    »Fünfzig Franken.«
    »Das ist teuer, aber ich brauche es, und ich habe, um sie zu zahlen, nur die Wechsel, die Sie nicht haben wollen.«
    »Sie haben einen Wechsel über fünfhundert Franken auf sechs Monate, den nehme ich Ihnen ab«, antwortete Chaboisseau, der ohne Zweifel Fendant & Cavalier von der letzten Abrechnung her noch gerade diese Summe schuldig war. Die beiden Freunde gingen wieder in das griechische Zimmer, und Chaboisseau rechnete auf einem Stück Papier sechs Prozent Zinsen und sechs Prozent Kommissionsgebühr ab, was einen Abzug von dreißig Franken machte; dann stellte er die fünfzig Franken, den Preis des Ducerceau, in Rechnung und entnahm seiner Kasse, die voll schöner Talerstücke war, vierhundertzwanzig Franken.
    »Aber, Herr Chaboisseau, die Wechsel sind entweder alle gut oder alle schlecht, warum diskontieren Sie uns die andern nicht?«
    »Ich diskontiere nicht, ich mache mich für einen Verkauf bezahlt«, versetzte der Biedermann.
    Etienne und Lucien lachten noch über Chaboisseau, ohne ihn begreifen zu können, als sie bei Dauriat angekommen waren, wo Lousteau Gabusson bat, ihnen die Adresse eines Diskontierers anzugeben. Die beiden Freunde nahmen eine Droschke und fuhren zum Boulevard Poissonnière. Gabusson hatte ihnen einen Empfehlungsbrief mitgegeben und hatte ihnen gesagt, sie würden das seltsamste und bizarrste Kuriosum treffen, wie er sich ausdrückte.
    »Wenn Samanon Ihre Wechsel nicht nimmt,« hatte Gabusson gesagt, »dann diskontiert sie Ihnen kein Mensch.«
    Samanon war im Erdgeschoß Antiquar, im ersten Stock Kleiderhändler, im zweiten Stock verkaufte er verbotene Bilder, überdies war er noch Pfandleiher. Keine der Personen, die Hoffmann in seinen Romanen schildert, keiner der unheimlichen Geizigen Walter Scotts kann mit dem verglichen werden, was die Gesellschaft und Paris in diesem Menschen hervorgebracht hatten – wenn Samanon überhaupt ein Mensch war. Lucien konnte beim Anblick dieses kleinen vertrockneten Alten, dessen Knochen die völlig lohfarbene Haut durchbohren zu wollen schienen, eine Gebärde des Entsetzens nicht zurückhalten. Diese Haut war mit zahlreichen grauen oder gelben Flecken besät, wie ein Gemälde von Tizian oder Paul Veronese, wenn man es aus der Nähe ansieht. Das eine Auge war unbeweglich und gläsern, das andere lebhaft und leuchtend. Der Geizige, der den Eindruck machte, als ob er sich dieses toten Auges bediente, wenn er diskontierte, und des anderen, wenn er seine obszönen Bilder verkaufte, trug eine kleine, flache Perücke, die schwarz sein sollte, aber fuchsrot schimmerte, und unter der man seine weißen Haare sah; seine gelbe Stirn sprang drohend vor, seine Backen waren durch die hervortretenden Kinnbacken wie zu einem Viereck

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