Verlorene Illusionen (German Edition)
aufgezogen und dann zur Firma Didot als Lehrling gebracht worden. Zwischen seinem vierzehnten und siebzehnten Lebensjahr war er der getreue Knappe Séchards, der ihn der Obhut eines seiner geschicktesten Arbeiter anvertraute; denn David interessierte sich natürlich für Cérizet, als er ihn intelligent fand, und er gewann seine Zuneigung, als er ihm einige Vergnügen verschaffte und Süßigkeiten zukommen ließ, die seine Armut ihm sonst versagt hatte. Cérizet, der ein hübsches, schlaues Gesicht, rote Haare und etwas verschwommene blaue Augen hatte, hatte die Sitten des Pariser Gassenjungen nach der Hauptstadt des Angoumois mitgebracht. Sein lebhafter und spöttischer Geist, seine boshafte Verschlagenheit machten ihn hier gefürchtet. Cérizet, der in Angoulême von David weniger überwacht wurde, sei es weil er älter war und seinem Mentor mehr Zutrauen einflößte, oder weil der Drucker auf den Einfluß der Provinz baute, war, ohne daß sein Herr eine Ahnung davon hatte, der Don Juan von drei oder vier jungen Arbeiterinnen geworden und schon völlig verdorben. Seine in den Pariser Kneipen ausgebildete Moral nahm das persönliche Interesse als einziges Gesetz. Überdies sah Cérizet, der sich im nächsten Jahr stellen mußte, keine Aussichten vor sich; daher machte er Schulden und dachte, in einem halben Jahre würde er Soldat, und dann könnten ihm seine Gläubiger nachlaufen. David behielt über den Burschen einige Autorität, nicht weil er sein Meister hieß und nicht weil er sich für ihn interessierte, sondern weil der frühere Pariser Gassenjunge in ihm eine hohe Intelligenz erkannte. Cérizet freundete sich bald mit den Arbeitern der Firma Cointet an, zu denen ihn der Korpsgeist trieb, der vielleicht in den unteren Klassen noch mächtiger ist als in den oberen. In diesem Verkehr büßte Cérizet die paar guten Lehren, die David ihm eingeprägt hatte, noch vollends ein; trotzdem aber nahm er, wenn man ihn wegen des Holzplunders in seiner Werkstatt verspottete, womit die Bären die alten Pressen der Séchards meinten, und ihm die zwölf prachtvollen eisernen Pressen zeigte, die in der riesigen Werkstatt der Firma Cointet im Gange waren, wo man eine Holzpresse nur noch für Korrekturabzüge in Benutzung hatte, noch Davids Partei und schleuderte den Prahlhänsen stolz die Worte ins Gesicht: »Mit seinem Holzplunder wird mein Gimpel weiterkommen als eure mit ihren eisernen Allerweltspressen, die nur Andachtsbücher von sich geben! Er sucht ein Geheimnis, das allen Druckereien in Frankreich und Navarra ein Ende macht!«
»Inzwischen aber bist du ein elender Faktor mit vierzig Sous Lohn und hast eine Plätterin zum Herrn«, antwortete man ihm.
»Na, na, sie ist hübsch,« erwiderte Cértizet, »und ich sehe sie lieber als die Dickköpfe eurer Herren.«
»Wirst du von dem Anblick deiner Meisterin satt?«
Diese freundschaftlichen Auseinandersetzungen, die in der Kneipe oder vor der Tür der Druckerei sich abspielten, mußten auch zu den Ohren der Brüder Cointet dringen und sie über die Lage der Druckerei Séchard aufklären, sie erfuhren also von der Spekulation, mit der es Eva versuchte, und hielten es für nötig, ein Unternehmen im Keime zu ersticken, das der armen Frau den Weg zum Wohlstand eröffnen konnte.
»Wir müssen ihr eins auf die Finger geben, um ihr den Geschmack an dem Geschäft zu verderben«, sagten sich die beiden Brüder.
Der eine der Brüder, der die Druckerei leitete, begegnete Cérizet und trug ihm an, er sollte für sie Korrekturen lesen, vorläufig zur Probe, um ihren Korrektor zu entlasten, der mit dem Lesen ihrer Werke nicht fertig werden konnte. Cérizet verdiente durch ein paar Stunden Nachtarbeit bei den Brüdern Cointet mehr als tagsüber bei David Séchard. Es kam zu innigen Beziehungen zwischen den Cointet und Cérizet, dessen große Gaben man erkannte und den man beklagte, daß er in einer Stellung war, die seinen Interessen so schlecht entsprach.
»Sie könnten«, sagte eines Tages der eine Herr Cointet zu ihm, »Faktor einer großen Druckerei werden und sechs Franken täglich verdienen, und mit Ihrer Intelligenz brächten Sie es dazu, einmal am Geschäft beteiligt zu werden.«
»Wozu soll mir das helfen, daß ich ein guter Faktor bin?« antwortete Cérizet; »ich bin Waise, muß im nächsten Jahr zur Stellung, und wer soll mir, wenn das Los mich trifft, einen Ersatzmann stellen?«
»Wenn Sie sich nützlich machen,« erwiderte der reiche Drucker, »warum sollte man Ihnen
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