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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die Höhe einer Nachsicht, die die höchste Stufe der Verachtung ist.
    »Ach was, das ist bloße Neugier eines Pariser Straßenjungen!« rief also David. »Schön, mein Lieber, aber tu mir den Gefallen und geh in die Werkstatt, sieh nach, was dein Junge in einem Monat gesetzt hat, und sage mir, ob er in diesem Monat nicht mit unserm Almanach hätte fertig werden müssen ...«
    Nach dem Mittagessen überzeugte sich David, daß der Almanach in acht Tagen hätte gesetzt sein müssen; als er dann erfuhr, daß die Cointet auch einen vorbereiteten, kam er seiner Frau zu Hilfe: er ordnete an, daß Kolb den Verkauf der Bilderbogen einstellte und er brachte alles in der Werkstatt in Ordnung; er setzte selbst eine Form zusammen, von der Kolb und Marion zusammen die Abzüge machen mußten, während er mit Cérizet die andere druckte, wobei er den Druck in verschiedenen Farben überwachte. Jede Farbe erfordert einen besonderen Druck. Ein Bogen mit vier verschiedenen Farben muß also viermal durch die Presse gehen. Der Schäferalmanach muß also viermal statt einmal gedruckt werden, und seine Herstellung kostet daher so viel, daß er ausschließlich in den Provinzdruckereien gedruckt wird, wo die Arbeit und die Zinsen des Kapitals, das in der Druckerei steckt, fast keinen Wert repräsentieren. Dieses Werk, so plump es auch nach dem äußern Anschein ist, kann also in den Druckereien, aus denen schöne Werke hervorgehen, nicht hergestellt werden. Zum erstenmal seit dem Rücktritt des alten Séchard sah man jetzt wieder in der alten Werkstatt zwei Pressen im Gange. Obgleich der Almanach in seiner Art ein Meisterwerk wurde, mußte Eva ihn für einen halben Sou abgeben, denn die Brüder Cointet lieferten ihren den Kolporteuren für drei Centimes; sie kam auf ihre Kosten durch die Kolportage, sie verdiente an dem Verkauf, den Kolb direkt bewerkstelligte; aber ihre Spekulation ging fehl. Als Cérizet sah, daß seine schöne Meisterin ihm mißtraute, lehnte er sich innerlich gegen sie auf und sagte sich: »Du hast Verdacht gegen mich, ich werde mich rächen!« Das ist der Charakter des Pariser Gassenjungen. Cérizet nahm also von der Firma Gebrüder Cointet Nebeneinkünfte an, die ohne Frage für das Lesen der Korrekturen, die er jeden Abend in ihrem Kontor holte und morgens wiederbrachte, zu hoch waren. Er plauderte täglich mehr mit ihnen, freundete sich an, sah zuletzt die Möglichkeit, vom Militärdienst freizukommen, die man ihm als Köder vorhielt; und die Cointet hatten es gar nicht nötig, ihn zu bestechen, sie bekamen vielmehr von ihm die erste Auskunft bezüglich der Ausspionierung und Nutzbarmachung des Geheimnisses, das David suchte.
    Eva, die mit Sorge sah, wie wenig man Cérizet trauen konnte, und wie unmöglich es war, einen zweiten Kolb zu finden, beschloß, ihren einzigen Setzer, in dem sie mit der Hellsichtigkeit des liebenden Weibes den Verräter erkannte, zu entlassen; aber da das den Tod ihrer Druckerei bedeutete, faßte sie einen männlichen Entschluß: sie schrieb an Herrn Métivier, den Pariser Geschäftsfreund von David Séchard, ebenso wie von den Cointet und fast allen Papierfabrikanten des Departements, einen Brief und bat ihn, in die Buchhändlerzeitung in Paris die folgende Anzeige einzurücken:
»Zu verkaufen eine Buchdruckerei in vollem Betrieb mit Einrichtung und Patent in Angoulême. Wegen der Bedingungen wende man sich an Herrn Métivier, Rue Serpente.«
    Nachdem die Cointet die Nummer des Blattes, in dem diese Anzeige stand, gelesen hatten, sagten sie sich: »Diese kleine Frau ist nicht dumm. Es ist Zeit, uns zum Herrn ihrer Druckerei zu machen und ihr so viel zu tun zu geben, daß sie davon leben kann; sonst könnte der Nachfolger Davids ein ernsthafter Konkurrent werden, und es ist unser Interesse, immer zu sehen, was in der Werkstatt vorgeht.«
    Auf Grund dieser Erwägungen suchten die Brüder Cointet David Séchard auf. Eva, an die die beiden Brüder sich wandten, empfand die lebhafteste Freude, als sie die schnelle Wirkung ihrer List sah, denn sie verhehlten ihr nicht ihren Plan, Herrn Séchard vorzuschlagen, er sollte auf ihre Rechnung drucken: sie wären mit Aufträgen überlastet, ihre Pressen könnten die Arbeit nicht leisten, sie hätten Arbeiter in Bordeaux gesucht und machten sich anheischig, die drei Pressen Davids zu beschäftigen.
    »Meine Herren,« sagte sie zu den beiden Brüdern Cointet, während Cérizet ging, um David den Besuch seiner Kollegen zu melden, »mein Mann hat bei der

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