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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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die Summe, die nötig ist, damit Sie frei werden, nicht vorstrecken?«
    »Mein Meister tut es ganz gewiß nicht«, erwiderte Cérizet.
    »Wer weiß! Vielleicht findet er das Geheimnis, das er sucht ...«
    Dieser Satz war auf eine Art gesagt, die bei dem, der ihn hörte, die schlimmsten Gedanken wecken mußte; und so warf Cérizet dem Papierfabrikanten einen Blick zu, der eine scharfe Frage bedeutete.
    »Ich weiß nicht, womit er sich beschäftigt,« antwortete er dann klug, als der Herr stumm blieb, »aber er ist nicht der Mann, der in seinem Setzkasten Kapitalien sucht!«
    »Hören Sie, Freundchen!« sagte der Drucker und überreichte Cérizet sechs Bogen des Gebetbuches der Diözese, »wenn Sie uns das bis morgen korrigiert haben, bekommen Sie morgen achtzehn Franken. Wir sind nicht schlimm, wir lassen den Faktor unseres Konkurrenten Geld verdienen! Wir könnten ja schließlich auch Frau Séchard sich in das Geschäft mit dem Schäferalmanach stürzen lassen und sie ruinieren, aber wir sind nicht so: sagen Sie ihr, bitte, daß wir einen Schäferalmanach herausgeben, und geben Sie ihr zu verstehen, daß sie auf dem Markt damit nicht die Erste sein wird.«
    Man wird jetzt verstehen, warum Cérizet mit dem Setzen des Almanachs so langsam von der Stelle kam.
    Als Eva erfuhr, daß die Cointet ihrer armseligen kleinen Spekulation in den Weg traten, wurde sie von Angst ergriffen und wollte in der Mitteilung, die Cérizet ihr recht heuchlerisch über die Konkurrenz machte, die sie zu erwarten hatte, einen Beweis seiner Anhänglichkeit sehen; aber bald bemerkte sie bei ihrem einzigen Setzer Spuren einer zu lebhaften Neugier, die sie seiner Jugend zuschreiben wollte.
    »Cérizet,« sagte sie eines Morgens zu ihm, »Sie stellen sich in die Tür und warten, bis Herr Séchard durchkommt, um zu sehen, was er verbirgt; Sie sehen in den Hof, wenn er aus der Werkstatt geht, um die Walzen zu gießen, anstatt den Satz unseres Almanachs fertig zu machen. All das ist nicht gut, besonders wo Sie sehen, daß ich, seine Frau, sein Geheimnis respektiere und mich so abmühe, um ihm die Zeit zu lassen, sich seinen Arbeiten zu widmen. Wenn Sie nicht die Zeit vertrödelt hätten, wäre der Almanach fertig, Kolb würde ihn schon verkaufen, und die Cointet könnten uns keinen Schaden zufügen.«
    »Ja, glauben Sie, Meisterin,« antwortete Cérizet, »es sei nicht genug für die vierzig Sous, die ich hier täglich verdiene, daß ich Ihnen für hundert Sous Satz mache? Wenn ich nicht abends für die Brüder Cointet Korrekturen läse, könnte ich wahrhaftig Kleie essen.«
    »Sie sind schon früh undankbar, Sie werden Ihren Weg machen«, erwiderte Eva, die im Herzen getroffen war, weniger durch die Vorwürfe Cérizets, als durch seinen groben Ton, seine drohende Haltung und durch seine frechen Blicke.
    »Aber nicht, wenn ich eine Frau zum Meister habe, denn bei der hat der Monat nicht oft dreißig Tage.«
    Eva fühlte sich in ihrer Frauenwürde gekränkt, warf Cérizet einen verächtlichen Blick zu und stieg in die Wohnung hinauf. Als David zum Essen kam, sagte sie zu ihm: »Mein Freund, traust du diesem Burschen, diesem Cérizet?«
    »Cérizet!« sagte er. »Aber das ist ja mein Page, ich habe ihn ausgebildet, er hat das Manuskript vorgelesen, wenn ich Korrekturen las, ich habe ihn an den Setzkasten gestellt, er verdankt mir ja alles, was er ist! Man könnte ebensogut einen Vater fragen, ob er seinem Kinde traut.«
    Eva teilte ihrem Manne mit, daß Cérizet auf Rechnung der Cointet Korrekturen las.
    »Der arme Kerl, er muß schon sehen, daß er leben kann«, erwiderte David in dem demütigen Ton eines Meisters, der sich schuldig fühlt.
    »Jawohl; aber, mein Lieber, zwischen Kolb und Cérizet ist folgender Unterschied: Kolb macht alle Tage zwanzig Meilen, gibt fünfzehn oder zwanzig Sous aus, bringt uns sieben, acht, manchmal neun Franken für verkaufte Blätter und verlangt, wenn er seine Auslagen bekommen hat, nie mehr als seine zwanzig Sous. Kolb würde sich lieber die Hand abschneiden, als daß er bei den Cointet den Schwengel einer Presse anrührte, und er würde die Sachen nicht ansehen, die du in den Hof wirfst, und wenn man ihm tausend Taler gäbe; während Cérizet sie aufliest und untersucht.«
    Die schönen Seelen bringen sich schwer dazu, an die Undankbarkeit zu glauben, sie brauchen harte Lehren, ehe sie merken, wie weit die Verderbtheit des Menschen geht; und dann, wenn ihre Erziehung auf diesem Gebiete vollendet ist, erreichen sie

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