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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Not hätte Lucien keine Kraft gegen das Böse! Du denkst gerade so von ihm wie Herr d'Arthez! Es gibt keinen großen Geist ohne Kraft, und Lucien ist schwach ... Was ist ein Engel, der nicht in Versuchung geführt werden darf!«
    »Nun, ich denke, das ist ein Wesen, das nur in seiner Umgebung, in seiner Sphäre, in seinem Himmel schön ist. Lucien ist nicht zum Kämpfen geschaffen, ich werde ihm den Kampf ersparen. Hier sieh! Ich bin so nahe am Ziel, daß ich dich in die Mittel einweihen darf.«
    Er nahm mehrere Stücke weißes Papier von der Größe eines Oktavblattes aus der Tasche, schwang sie triumphierend in der Luft und legte sie seiner Frau in den Schoß.
    »Ein Ries von diesem Papier im Format des großen Traubenpapiers wird nicht mehr als fünf Franken kosten«, sagte er und gab die Muster Eva zur Prüfung. Sie sah ihn mit kindlicher Überraschung an.
    »Und wie hast du diese Proben gemacht?« fragte sie.
    »Mit einem alten Haarsieb, das ich bei Marion gefunden habe«, antwortete er.
    »Aber du bist noch nicht zufrieden?« fragte sie.
    »Die Frage, um die es sich handelt, ist nicht die der Herstellung, sondern die des Einkaufspreises des Zeuges. Ach, liebes Kind, ich bin nur einer der Letzten, die auf diesem schweren Weg vorwärts gehen. Frau Masson versuchte schon 1794, bedrucktes Papier in weißes zu verwandeln; es ist ihr gelungen, aber zu welchem Preis! In England versuchte um 1800 der Marquis von Salisbury und zur selben Zeit, 1801, in Frankreich Seguin, das Stroh für die Papierfabrikation zu verwenden. Unser gemeines Schilfrohr ( arundo phragmitis ) hat das Material zu den Papierblättern geliefert, die du in der Hand hältst. Aber ich will die Brennesseln und die Disteln benutzen; denn will man die Rohstoffe billig haben, muß man sich an pflanzliche Stoffe halten, die auf den Mooren und auf schlechtem Boden fortkommen, dann werden sie sehr billig sein. Das Geheimnis liegt völlig in der Art und Weise, wie man diese Fasern weiterbehandelt. Jetzt ist mein Verfahren noch nicht einfach genug. Aber trotz dieser Schwierigkeit bin ich sicher, daß ich der französischen Regierung das Vorrecht verschaffe, das unsere Literatur genießt, aus ihr nämlich ein Monopol für unser Land zu machen, wie die Engländer das Monopol des Eisens, der Steinkohle oder der gewöhnlichen Töpfereien haben. Ich will der Jaquart der Papierfabrikation sein.«
    Eva erhob sich, die Schlichtheit Davids versetzte sie in Begeisterung und Bewunderung; sie öffnete ihre Arme, schloß ihn an ihr Herz und legte den Kopf auf seine Schulter.
    »Du belohnst mich, wie wenn ich schon fertig wäre«, sagte er zu ihr. Statt jeder Antwort hob Eva ihr schönes, ganz von Tränen überströmtes Gesicht und verharrte einen Augenblick so, ohne sprechen zu können.
    »Ich umarme nicht das Genie,« sagte sie, »sondern den Tröster! Einem Ruhm, der gesunken ist, stellst du einen Ruhm entgegen, der aufsteigt. Dem Kummer, den mir die Erniedrigung eines Bruders verursacht, stellst du die Größe des Gatten gegenüber ... Ja, du wirst groß sein wie die Graindorge, van Robais, wie der Perser, der uns den Krapp zur Färberröte gegeben hat, wie alle die Männer, von denen du mir gesprochen hast, deren Namen im Dunkel bleiben, weil sie zwar eine Industrie vervollkommnet, es aber getan haben, ohne viel Wesen davon zu machen.« –
    »Was mögen sie jetzt tun?« fragte Boniface. Der große Cointet ging mit Cérizet auf der Place du Mûrier hin und her und sah nach den Schatten der Frau und des Mannes, die auf den Musselinvorhängen sich abzeichneten; denn er kam jede Nacht um zwölf Uhr, um mit Cérizet zu sprechen, der den Auftrag hatte, jeden Schritt seines früheren Herrn zu überwachen.
    »Er zeigt ihr ohne Zweifel die Papiere, die er heute morgen gemacht hat«, antwortete Cérizet.
    »Was für Stoffe hat er benutzt?« fragte der Papierfabrikant.
    »Es ist nicht möglich, es herauszubekommen,« erwiderte Cérizet; »ich habe ein Loch in das Dach gemacht, bin hinaufgeklettert und habe gesehen, wie mein Meister in dem Kupferkessel seinen Brei gekocht hat; wie sehr ich auch nach den Vorräten blickte, die in einer Ecke aufgehäuft waren, so konnte ich weiter nichts bemerken, als daß die Rohstoffe aussahen wie Haufen Hanf ...«
    »Gehen Sie nicht weiter,« sagte Boniface Cointet mit schmeichlerischer Stimme zu seinem Spion, »das wäre nicht ehrlich! ... Frau Séchard wird Ihnen den Antrag machen, Sie sollten Ihre Pacht zwecks Ausbeutung der Druckerei

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