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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Widersprüche der Jurisprudenz zur Verfügung stellen, behält er seine Überzeugung über die Sache, der zum Sieg zu verhelfen er bemüht ist. Kurz gesagt, das Denken benebelt viel weniger als das Wort. Wenn er nur redet, glaubt jemand schließlich an das, was er sagt, während man gegen sein Denken handeln kann, ohne es zu verderben, und eine schlechte Sache gewinnen kann, ohne zu behaupten, sie sei gut, wie es der plädierende Advokat tun muß. Daher kann der alte Bureauadvokat von Paris viel eher als ein alter Gerichtsadvokat einen guten Richter abgeben. Aus mehr als einem Grunde wird daher ein Provinzadvokat ein mittelmäßiger Mensch: er muß in seinem Innern kleinlich sein, er führt kleine Sachen, er lebt von der Gebührenüberhebung, er mißbraucht die Strafprozeßordnung, und er plädiert! Mit einem Wort, er hat viele Gebrechen. Wenn sich daher unter diesen Provinzadvokaten ein bemerkenswerter Mann findet, ist es gleich ein sehr überlegener.
    »Ich glaubte, Herr Cointet, Sie hätten mich wegen Ihrer Geschäfte bestellt«, entgegnete Petit-Claud und machte durch den Blick, den er auf die undurchdringlichen Brillengläser des großen Cointet richtete, aus dieser Bemerkung eine kleine Bosheit. »Keine Umschweife«, gab Boniface zurück. »Hören Sie mich ...«
    Nach diesem Wort, das vertrauliche Eröffnungen erwarten ließ, setzte sich Cointet auf eine Bank und forderte Petit-Claud auf, seinem Beispiel zu folgen.
    »Als Herr du Hautoy im Jahre 1804 durch Angoulême kam, um als Konsul nach Valencia zu gehen, lernte er hier Frau von Senonches, die damals Fräulein Zéphirine war, kennen, und sie bekam von ihm ein Mädchen«, flüsterte Cointet sehr leise seinem Partner ins Ohr. »Ja,« wiederholte er, als er sah, wie Petit-Claud eine erstaunte Bewegung machte, »die Verheiratung Fräulein Zéphirinens mit Herrn von Senonches ist dieser heimlichen Niederkunft schnell gefolgt. Dieses Mädchen, das auf dem Lande bei meiner Mutter aufgezogen wurde, ist Fräulein Françoise de la Haye und steht in der Obhut von Frau von Senonches, die, wie es üblich ist, ihre Patin ist. Da meine Mutter, die die Pächterin der alten Frau von Cardanet, der Großmutter von Fräulein Zéphirine, war, das Geheimnis der einzigen Erbin der Cardanet und der Senonches der älteren Linie kannte, hat man mir die kleine Summe, die Herr Francis du Hautoy seinerzeit seiner Tochter aussetzte, übergeben, damit ich sie anlegte. Ich bin mit Hilfe dieser zehntausend Franken, die heute zu dreißigtausend Franken geworden sind, zu meinem Vermögen gekommen. Frau von Senonches wird ihrem Mündel die Ausstattung, das Silberzeug und einiges Mobiliar geben; und ich kann Ihnen das Mädchen zur Frau verschaffen, mein Junge«, sagte Cointet und klopfte Petit-Claud vertraulich aufs Knie. »Wenn Sie Françoise de la Haye heiraten, bekommen Sie die Klientel eines großen Teils der Aristokratie von Angoulême. Diese Verbindung zur linken Hand eröffnet Ihnen eine glänzende Zukunft ... Die Position eines Advokaten wird gut genug erscheinen: man will nicht höher hinaus, ich weiß es.«
    »Was muß ich tun?« sagte Petit-Claud gierig, »Sie haben doch Herrn Cachan als Advokaten ...«
    »Und so werde ich Herrn Cachan nicht plötzlich Ihnen zuliebe aufgeben, Sie werden mich erst später zum Klienten bekommen«, sagte der große Cointet pfiffig. »Was Sie tun müssen, mein Freund? Nun eben, die Geschäfte David Séchards müssen Sie besorgen. Dieser arme Teufel hat uns für tausend Taler Wechsel zu zahlen, er wird sie nicht zahlen, und Sie sollen seine Sache gegen unsere Klage führen, und zwar so, daß riesige Kosten entstehen ... Sie können unbesorgt sein, immer weiter gehen und dafür sorgen, daß immer neue Schwierigkeiten und Zwischenfälle entstehen. Doublon, mein Gerichtsvollzieher, der es übernehmen wird, ihn unter der Leitung Cachans gerichtlich zu belangen, wird ihn nicht mit Samthänden anfassen ... Übrigens, ich weiß, wer gut zuhört, braucht nicht viel Worte. Jetzt, junger Mann ...«
    Es entstand eine beredte Pause, während deren die beiden Männer sich ansahen.
    »Wir haben uns niemals gesehen,« fuhr dann Cointet fort, »ich habe Ihnen nichts gesagt, Sie wissen nichts von Herrn du Hautoy, von Frau von Senonches und von Fräulein de la Haye; nur daß Sie, wenn es so weit ist, in zwei Monaten, um die Hand der jungen Dame anhalten. Wenn wir uns sehen müssen, kommen Sie abends hierher.«
    »Sie wollen also Séchard zugrunde richten?« fragte

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