Verlorene Illusionen (German Edition)
Mann seine guten Engel genannt und hat Sie ohne Frage vergessen; aber er wird in dem Augenblick, wo der Sturm ihn zu Boden reißt und er als Zufluchtsstätte nur noch seine Familie hat, an Sie denken; bewahren Sie ihm also Ihre Liebe, er wird sie brauchen.
Gestatten Sie, verehrte Frau, die aufrichtig ergebenen Grüße eines Mannes, dem Ihre schönen Eigenschaften bekannt sind und der Ihre mütterliche Besorgnis zu hoch schätzt, als daß er Ihrem Wunsche nicht hätte gehorsam sein müssen.
Ihr sehr ergebener
d'Arthez.«
Zwei Tage später, nachdem Eva diese Antwort gelesen hatte, mußte sie eine Amme nehmen, ihre Milch versiegte. Sie hatte aus ihrem Bruder einen Gott gemacht und sah ihn jetzt durch die Ausübung seiner schönsten Gaben verderbt; für sie war er in den Schmutz gesunken. Diese edle Frau kannte bezüglich der Redlichkeit, der Herzensreinheit und all der häuslichen Tugenden, die am Herd der Familie gepflegt werden, der in der Provinz noch so makellos ist, keine Zugeständnisse. David hatte also mit seinen Befürchtungen recht behalten. Als Eva in einem der ernsten Gespräche, in denen zwei Liebende sich alles sagen können, ihrem Manne den Kummer anvertraute, der ihrer weißen Stirn eine bleierne Farbe gegeben hatte, sprach David tröstliche Worte. Obwohl ihm die Tränen in den Augen standen, als er merkte, daß die schöne Brust seiner Frau infolge ihres Leides vertrocknet war, und als er sie in Verzweiflung darüber sah, daß sie ihre Mutterpflichten nicht mehr erfüllen konnte, beruhigte er Eva, indem er ihr einige Hoffnung zeigte.
»Siehst du, Liebste, dein Bruder hat mit der Phantasie gesündigt. Es ist für einen Dichter so natürlich, daß er sein Gewand aus Purpur und Himmelsblau will, daß er so stürmisch nach Festen begehrt! Dieser Vogel liebt den Glanz und den Luxus und mag bei alledem ein gutes Gewissen haben. Und Gott verzeiht vielleicht gern, was die Gesellschaft verdammt.«
»Aber er ruiniert uns!« rief die arme Frau.
»Er ruiniert uns heute, wie er uns vor einigen Monaten rettete, als er uns an dem Ersten, was er verdiente, teilnehmen ließ«, erwiderte der gutmütige David, der wohl merkte, daß die Verzweiflung seine Frau maßlos machte und daß sie bald wieder zu ihrer Liebe zu Lucien zurückgelangen würde.
»Mercier sagte vor ungefähr fünfzig Jahren in seinem ›Gemälde von Paris‹, die Literatur, die Poesie, die schönen Künste und Wissenschaften, die Erzeugnisse des Gehirns könnten niemals einen Menschen ernähren; und Lucien, der ein Dichter ist, hat der Erfahrung von fünf Jahrhunderten nicht geglaubt. Die Ernte der Schriftstellerarbeit kann erst zehn oder zwölf Jahre nach der Aussaat erfolgen, und oft kommt es gar nicht dazu; Lucien aber hat das Unkraut für die Frucht gehalten. Er hat jetzt wenigstens das Leben kennen gelernt. Erst ist er auf eine Frau hereingefallen, dann auf die vornehme Welt und die falschen Freunde. Er hat seine Erfahrung teuer bezahlt, das ist alles. Unsere Vorfahren sagten: Wenn ein Sohn nur seine Ohren und seine Ehre heil nach Hause bringt, ist alles gut ...«
»Seine Ehre!« rief die arme Eva. »Ach, gegen wie viele Tugenden hat Lucien sich vergangen! Gegen sein Gewissen schreiben! Seinen besten Freund angreifen! ... Das Geld einer Schauspielerin annehmen! ... Sich mit ihr zeigen! ... Uns an den Bettelstab bringen! ...«
»Oh, das ist noch gar nichts!« rief David und brach dann schnell ab.
Fast hätte er das Geheimnis der Fälschung, die sein Schwager begangen hatte, verraten, und zum Unglück merkte Eva, daß er mit etwas zurückhielt, und blieb in angstvoller Ungewißheit.
»Wie, nichts?« fragte sie. »Und wo nehmen wir das Geld her, um dreitausend Franken zu bezahlen?«
»Zunächst«, versetzte David, »werden wir die Pacht für die Ausbeutung unserer Druckerei durch Cérizet erneuern. Seit einem halben Jahre haben ihm die fünfzehn Prozent, die ihm die Cointet auf die Arbeiten, die er für sie macht, bewilligen, sechshundert Franken eingebracht, und er hat fünfhundert Franken mit Akzidenzaufträgen verdient.«
»Wenn die Cointet das erfahren,« sagte Eva, »erneuern sie vielleicht das Pachtverhältnis nicht; sie werden ihn fürchten, denn Cérizet ist ein gefährlicher Mensch.«
»Ach, weißt du, das kümmert mich nicht,« rief Séchard; »in ein paar Tagen sind wir reiche Leute! Wenn Lucien erst reich ist, mein Engel, hat er nur noch Tugenden ...«
»Ach, David, Liebster, Bester, was sagst du da? Du meinst also, in
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