Verlorene Illusionen (German Edition)
erneuern; sagen Sie, Sie wollten Buchdrucker werden, bieten Sie die Hälfte dessen, was das Patent und die Einrichtung wert sind, und wenn man zustimmen sollte, kommen Sie zu mir. In jedem Fall ziehen Sie die Sache in die Länge ... Die Leutchen haben kein Geld?«
»Keinen Heller!« antwortete Cérizet.
»Keinen Heller!« wiederholte der große Cointet. ›Sie gehören mir!‹ sagte er bei sich.
Das Haus Métivier und das Haus Gebrüder Cointet verbanden mit ihrem Beruf als Papierhändler und Drucker die Tätigkeit von Bankiers, wofür sie sich aber wohl hüteten ein Patent zu bezahlen. Der Fiskus hatte noch nicht das Mittel gefunden, die kaufmännischen Geschäfte so gut zu kontrollieren, daß er alle die, die heimlich Bankgeschäfte machen, zwingen kann, das Bankierpatent zu nehmen, das in Paris zum Beispiel fünfhundert Franken kostet. Aber die Brüder Cointet und Métivier, wenn sie auch bloß Winkelbankiers waren, setzten deswegen doch im Vierteljahr auf den Plätzen von Paris, Bordeaux und Angoulême etliche hunderttausend Franken untereinander um. An diesem nämlichen Abend nun hatte das Haus Gebrüder Cointet von Paris die von Lucien hergestellten falschen Wechsel über dreitausend Franken erhalten. Der große Cointet hatte sofort auf die Schuld einen Plan gebaut, der sich, wie man sehen wird, mit furchtbarer Gewalt gegen den armen und geduldigen Erfinder richtete.
Am nächsten Tage um sieben Uhr morgens ging Boniface Cointet an dem Wasserlauf entlang, der seine große Papiermühle trieb und dessen donnerndes Getöse das gesprochene Wort fast übertönte. Er wartete dort auf einen jungen Mann im Alter von neunundzwanzig Jahren, der seit sechs Wochen Advokat am Gericht erster Instanz in Angoulême war und Pierre Petit-Claud hieß.
»Sie waren zusammen mit David Séchard auf dem Lyzeum in Angoulême?« fragte der große Cointet, nachdem er den jungen Advokaten begrüßt, der natürlich nicht verfehlt hatte, der Aufforderung des reichen Fabrikanten Folge zu leisten.
»Jawohl«, erwiderte Petit-Claud und schloß sich dem weitergehenden großen Cointet an.
»Haben Sie die Bekanntschaft erneuert?«
»Wir sind uns höchstens zweimal seit seiner Rückkehr begegnet. Es konnte auch nicht wohl anders sein: ich steckte an den Werktagen in meinem Bureau oder im Gerichtsgebäude; und an den Sonn- und Feiertagen arbeitete ich daran, meine Kenntnisse zu vervollständigen, denn ich erwartete alles von mir selbst ...«
Der große Cointet hatte zum Zeichen der Billigung ein Kopfnicken.
»Als David und ich uns wiedersahen, fragte er mich, was aus mir geworden sei. Ich sagte ihm, daß ich, nach Vollendung meiner juristischen Studien in Poitiers, Bureauvorsteher beim Advokaten Olivet geworden sei und daß ich hoffte, eines Tages dessen Praxis zu übernehmen ... Lucien Chardon, der sich jetzt von Rubempré nennen läßt, den Geliebten der Frau von Bargeton, unsern großen Dichter, kurz, den Schwager von David Séchard habe ich viel besser gekannt.«
»Sie können dann also David Mitteilung von Ihrer Ernennung machen und ihm Ihre Dienste anbieten.«
»Das wird nicht gehen«, meinte der junge Advokat.
»Er hat nie einen Prozeß gehabt, er hat keinen Advokaten, aber es kann dazu kommen«, erwiderte Cointet und sah den kleinen Advokaten hinter seiner Brille von oben bis unten an.
Pierre Petit-Claud war der Sohn eines Schneiders von Houmeau, war von seinen Kameraden im Lyzeum verachtet worden und schien einen ansehnlichen Teil übergetretener Galle in seinem Blut zu haben. Sein Gesicht hatte eine schmutzige, schmierige Färbung und sah aus wie die Gesichter, die frühere Krankheiten, die Nachtwachen des Elends und fast immer bösartige Triebe verraten. Die gewöhnliche Umgangssprache hat einen Ausdruck, der diesen Menschen mit einem Wort bezeichnet: er war ein Giftnickel. Seine heisere Stimme paßte zu der Schärfe seiner Mienen, seinem bösen Ausdruck und zu der unbestimmten Farbe seines Elsterauges. Das Elsterauge ist nach einer Bemerkung Napoleons ein Zeichen der Unredlichkeit. »Sehen Sie den an,« sagte er auf Sankt-Helena zu Las Cases über einen seiner Vertrauten, den er wegen Veruntreuungen entlassen mußte; »ich weiß nicht, wie ich mich so lange in ihm täuschen konnte, er hat das Auge einer Elster.« Als daher der große Cointet diesen magern kleinen Advokaten mit seinem Gesicht voller Blatternarben, mit den spärlichen Haaren, dessen Stirn und Schädel schon ineinander übergingen, betrachtet hatte, als er
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