Verlorene Illusionen (German Edition)
mich quitt und ledig. Und es ist eine Ehrenschuld, mein Lieber, die schon zwölf Monate ansteht: Du müßtest darüber rot werden, wenn Du erröten könntest. Mein lieber Lousteau, Scherz beiseite, ich bin in sehr ernster Lage. Urteile darüber nur aus diesem kurzen Wort: der ›Stockfisch‹ hat Fett angesetzt, ist die Frau des ›Reihers‹ geworden, und der Reiher ist Präfekt von Angoulême. Dieses schreckliche Paar kann viel für meinen Schwager tun, den ich in eine furchtbare Lage gebracht habe: er soll wegen des Wechsels in Schuldhaft kommen und lebt in einem Versteck! Ich muß mich vor der Frau Präfektin sehen lassen können und um jeden Preis Einfluß auf sie bekommen. Ist es nicht grauenhaft, zu denken, daß das Schicksal David Séchards von einem hübschen paar Stiefel, grauseidenen, durchbrochenen Strümpfen – vergiß sie nicht! – und von einem neuen Hute abhängt? Ich werde mich für krank und leidend ausgeben, mich ins Bett legen wie Duvicquet, um dem Eifer meiner Mitbürger auszuweichen. Meine Mitbürger haben mir ein sehr hübsches Ständchen gebracht. Ich frage mich, wie viele Dumme dazu gehören, um dieses Wort ›meine Mitbürger‹ zu bilden, seit ich weiß, daß die Anführer dieser Begeisterung der Hauptstadt des Angoumois einige meiner Schulkameraden gewesen sind.
Wenn Du einige Zeilen über meinen Empfang unter den ›Pariser Neuigkeiten‹ bringen wolltest, würdest Du meinen Ruhm hier noch um einige Zoll erhöhen. Ich könnte dann wenigstens dem ›Stockfisch‹ zeigen, daß, wenn ich auch keine Freunde, so doch ein gewisses Ansehen in der Pariser Presse habe. Da ich noch auf keine meiner Hoffnungen verzichtet habe, werde ich Dir das vergelten. Wenn Du für irgendein Unternehmen einen schönen, tiefgründigen Artikel brauchen solltest, so habe ich genügend Zeit, einen auszudenken. Ich sage Dir nur noch ein Wort, lieber Freund: ich rechne auf Dich, so wie Du jederzeit rechnen kannst auf
Lucien von R.
P.S. Adressiere alles mit Eilpost, Poste restante .«
Dieser Brief, in dem Lucien wieder den Ton der Überlegenheit annahm, den sein Erfolg ihm innerlich gab, rief ihm Paris wieder in die Erinnerung. Nachdem er sechs Tage in der absoluten Ruhe der Provinz hingebracht hatte, kehrten seine Gedanken zu der guten Zeit seines Pariser Elends zurück; ein vages Bedauern stieg in ihm auf, eine ganze Woche lang dachte er an nicht viel anderes als an die Gräfin du Châtelet; er legte seinem Wiedererscheinen so viel Wichtigkeit bei, daß er das ganze Bangen der Ungewißheit verspürte, als er bei einbrechender Dunkelheit nach Houmeau hinunterging, um an der Abgabestelle nach den Paketen zu fragen, die er aus Paris erwartete, wie eine Frau, die ihre letzte Hoffnung auf eine Toilette gesetzt hat und daran verzweifelt, sie zu bekommen.
»O Lousteau! ich verzeihe dir all deinen Verrat«, sagte er bei sich, als er an der Form der Pakete sah, daß sie alles enthalten mußten, was er gewünscht hatte.
In der Hutschachtel fand er den folgenden Brief:
»Bei Florine.
Liebes Kind!
Der Schneider hat sich sehr gut benommen, doch wie Dein rückwärts gewandter Scharfblick richtig erraten hat: die Krawatten, der Hut, die seidenen Strümpfe haben unsere ganze Besorgnis aufgerüttelt, denn in unserer Börse gab es nichts aufzurütteln. Wir sagten mit Blondet: ›Man kann reich dabei werden, wenn man ein Geschäft gründet, wo die jungen Leute für billiges Geld finden, was sie brauchen. Denn wir zahlen schließlich sehr teuer, was wir anfangs gar nicht bezahlen.‹ Der große Napoleon, der auf seinem Marsch nach Indien aus Mangel an einem paar Stiefel aufgehalten wurde, hat gesagt: ›Was leicht ist, geschieht nie!‹ Es ging also alles glatt bis auf das Schuhwerk... Ich sah Dich in Toilette ohne Hut! mit feiner Weste ohne Schuhe! und ich war schon drauf und dran, Dir ein paar indianische Mokassins zu schicken, die ein Amerikaner der Kuriosität halber Florine geschenkt hat. Florine hat einen Grundstock von vierzig Franken gegeben, mit denen wir für Dich spielten. Nathan, Blondet und ich sind so glücklich gewesen, da wir einmal nicht für uns selbst spielten, daß wir die alte Flamme von des Lupeaulx, die ›Maus‹, mit zum Soupieren nehmen konnten. Florine hat die Einkäufe besorgt; sie legt noch drei schöne Hemden bei. Nathan schickt Dir einen Stock; Vlondet, der dreihundert Franken gewonnen hat, eine goldene Kette; die ›Maus‹ macht Dir eine goldene Uhr zum Geschenk, die so groß ist wie ein
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