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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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List auf alles erstrecken, aber heutzutage hat sich auch diese Eigenschaft in verschiedene Teile gespalten. Und so gibt es so viele verschiedene Listen, als es Berufe gibt. Ein listiger Diplomat wird in einer Geschäftssache, die in der Provinz spielt, von einem mäßigen Advokaten oder von einem Bauern überlistet werden. Der schlaueste Journalist kann in geschäftlichen Angelegenheiten sehr dumm sein. Und so mußte Lucien der Spielball Petit-Clauds werden. Der kluge Advokat hatte natürlich selbst den Artikel geschrieben, durch den die Stadt Angoulême infolge der beständigen Eifersucht auf ihre Vorstadt Houmeau genötigt wurde, Lucien zu feiern. Die Mitbürger Luciens, die auf die Place du Mûrier gezogen waren, waren die Arbeiter der Druckerei und der Papiermühle der Cointet gemeinschaftlich mit den Schreibern von Petit-Claud und Cachan und einigen Schulkameraden gewesen. Der Advokat, der für den Dichter wieder der Schulfreund geworden war, dachte nicht mit Unrecht, sein Kamerad werde gelegentlich das Geheimnis von Davids Versteck verraten. Und wenn David durch die Schuld Luciens ins Gefängnis kam, konnte der Dichter sich nicht mehr in Angoulême behaupten. Daher spielte der Anwalt, um desto mehr zu erreichen, Lucien gegenüber den Dummen.
    »Wie hätte ich nicht mein Bestes tun sollen?« sagte Petit-Claud zu Lucien. »Es handelt sich doch um die Schwester meines Schulkameraden; aber vor Gericht gibt es Lagen, wo man verlieren muß. David hat mich am 1. Juni gebeten, ihm drei Monate lang seine Ruhe zu gewährleisten; und nun ist er erst im September in Gefahr, außerdem habe ich seinen Gläubigern seine ganze Habe zu entziehen verstanden; denn ich werde den Prozeß in der zweiten Instanz gewinnen; ich werde ein Urteil bekommen, das besagt, daß das Vorrecht der Frau ein unbedingtes ist und daß es im vorliegenden Fall keinerlei Betrug deckt ... Du, mein Freund, kommst zwar im Unglück zurück, aber du bist ein genialer Mensch ...«
    Lucien machte eine Bewegung wie ein Mann, dem der Weihrauch zu dicht unter die Nase kommt.
    »Ja, mein Lieber,« fuhr Petit-Claud fort, »ich habe den ›Bogenschützen Karls IX.‹ gelesen, und er ist mehr als ein Werk, er ist ein Buch! Die Vorrede konnten nur zwei Männer schreiben: Chateaubriand oder du!«
    Lucien nahm dieses Lob an, ohne zu sagen, daß diese Vorrede von d'Arthez stammte. Von hundert französischen Schriftstellern hätten es neunundneunzig ebenso gemacht.
    »Ja, und hier tat kein Mensch so, als ob er dich kennte«, fuhr Petit-Claud fort und tat entrüstet. »Als ich die allgemeine Gleichgültigkeit sah, setzte ich es mir in den Kopf, all diese Menschen in Bewegung zu bringen. Ich schrieb den Artikel, den du gelesen hast ...«
    »Wie, der ist von dir!« rief Lucien.
    »Von mir! Angoulême und Houmeau waren an ihrer Rivalität gepackt, ich habe die jungen Leute, deine alten Schulkameraden, zusammengetrommelt und habe das Ständchen von gestern abend organisiert; und dann, nachdem wir einmal in der Begeisterung waren, brachten wir die Sammlung für das Diner zustande. ›Wenn David sich versteckt hält, soll wenigstens Lucien Kränze bekommen‹, sagte ich mir. Ich bin noch weitergegangen, ich habe die Gräfin du Châtelet gesehen und habe ihr begreiflich gemacht, daß sie es sich selbst schuldig ist, David aus seiner Lage zu erretten; sie kann es und soll es. Wenn David wirklich das Geheimnis gefunden hat, von dem er mir sprach, wird es die Regierung nicht umbringen, wenn sie ihn unterstützt. Und wie groß steht ein Präfekt da, wenn es aussieht, als hätte er durch die glückliche Protektion, die er dem Erfinder gewährt, das halbe Verdienst an einer so großen Entdeckung! Auf die Weise bringt er es dahin, daß man von ihm als von einem aufgeklärten Verwaltungsbeamten spricht... Deine Schwester ist durch das Hin und Her unserer juristlschen Salven ängstlich geworden! Sie hat Angst vor dem Rauch... Der Krieg im Justizpalast ist ebenso teuer wie auf den Schlachtfeldern; aber David hat seine Stellung behauptet, er ist Herr seines Geheimnisses; man kann ihn nicht verhaften, man wird ihn nicht verhaften!« »Ich danke dir, mein Lieber; ich sehe, ich kann dir meinen Plan anvertrauen, du wirst mir helfen, ihn zu verwirklichen.«
    Petit-Claud sah Lucien an und gab dabei seiner pfropfenzieherförmigen Nase das Aussehen eines Fragezeichens.
    »Ich will Séchard retten«, sagte Lucien sehr wichtig. »Ich bin die Ursache seines Unglücks, ich werde alles wieder in

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