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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Ordnung bringen... Ich habe mehr Macht über Louise...«
    »Louise! Wer ist das?«
    »Die Gräfin du Châtelet!«
    Petit-Claud machte eine Bewegung.
    »Ich habe über sie mehr Macht, als sie selbst glaubt,« fuhr Lucien fort; »nur, mein Lieber, Macht über die Menschen, die euch regieren, habe ich zwar, aber ich habe keinen Anzug...«
    Petit-Claud machte eine zweite Bewegung, wie wenn er ihm seine Börse zur Verfügung stellen wollte.
    »Danke«, sagte Lucien und drückte die Hand des Advokaten. »Heut in zehn Tagen werde ich der Frau Präfektin einen Besuch machen und auch deinen Besuch erwidern.«
    Und sie trennten sich, indem sie sich freundschaftlich die Hand drückten.
    »Er muß ein Dichter sein,« sagte Petit-Claud bei sich selbst, »denn er ist ein Narr.«
    »Man kann sagen, was man will,« dachte Lucien, als er zu seiner Schwester ging, »die Schulkameraden sind doch die besten Freunde.«
    »Lucien,« sagte Eva zu ihm, »was hat dir denn Petit-Claud versprochen, daß du so freundschaftlich zu ihm warst? Hüte dich vor ihm!«
    »Vor ihm?« rief Lucien. »Höre, Eva,« fuhr er fort und schien nachdenklich zu sein, »du glaubst nicht mehr an mich, du mißtraust mir, du kannst auch Petit-Claud mißtrauen; aber in zwölf bis vierzehn Tagen wirst du eine andere Meinung haben.«
    Er setzte eine hochmütige Miene auf, begab sich in sein Zimmer und schrieb dort den folgenden Brief an Lousteau:

»Lieber Freund!
    Von uns beiden kann ich allein mich an die tausend Franken erinnern, die ich Dir geliehen habe: aber leider kenne ich die Lage, in der Du beim Öffnen dieses Briefes sein wirst, zu gut, um nicht sofort hinzuzufügen, daß ich sie nicht in Gold- oder Silberstücken von Dir verlange; nein, ich erbitte sie in Kredit, wie man sie von Florine in Vergnügen erbäte. Wir haben denselben Schneider, Du kannst mir also in kürzester Frist einen vollständigen Anzug machen lassen. Ich bin zwar nicht geradezu im Adamskostüm, aber ich kann mich nicht sehen lassen. Hier erwarteten mich zu meinem großen Staunen die Ehren, die die Provinz den Pariser Berühmtheiten zukommen läßt. Ich bin der Held eines Banketts, nicht mehr und nicht weniger als ein Deputierter der Linken: verstehst Du jetzt die Notwendigkeit eines schwarzen Rockes? Versprich die Zahlung; nimm sie auf Dich, laß die Reklame spielen; verfasse oder finde in Molières Nachlaß eine neue Szene Don Juans mit Herrn Dimanche, denn ich brauche um jeden Preis einen Sonntagsstaat. Ich habe nur noch Lumpen: danach richte Dich! Wir stehen im August, es ist prächtiges Wetter; sorge also dafür, daß ich zu Ende dieser Woche im Besitz eines famosen Straßenanzuges bin. Ich brauche einen kurzen Rock in dunklem Orangegrün, drei Westen, die eine schwefelgelb, die zweite eine schottische Phantasieweste, die dritte ganz weiß; dann drei Paar Hosen, die das Entzücken der Frauen sein müssen, die eine aus weißem englischen Stoff, die zweite aus Nanking, die dritte aus schwarzem Kasimir; endlich einen schwarzen Rock und eine schwarze Atlasweste für den Abend. Hast Du irgendeine neue Florine gefunden, dann empfehle ich mich ihr für zwei Phantasiehalsbinden. Das ist eine Kleinigkeit; ich rechne auf Dich, auf Deine Geschicklichkeit: der Schneider macht mir weiter keine Sorge. Lieber Freund, wir haben es so oft beklagt: die Intelligenz des Elends, das sicher das stärkste Gift ist, von dem der Mensch par excellence, der Pariser, gepeinigt wird, diese Intelligenz, deren Stärke und Energie selbst Satan überraschen müßte, hat noch nicht das Mittel gefunden, einen Hut auf Kredit zu bekommen! Wenn wir erst einmal Hüte in Mode gebracht haben, die tausend Franken kosten, werden die Hüte erschwinglich sein; aber bis dahin müssen wir immer so viel Geld in der Tasche haben, um einen Hut bezahlen zu können. Oh! was hat uns die Comédie Francaise für einen Schaden getan mit diesem ›Lafleur, du mußt Geld in meine Taschen tun!‹ Ich habe also das tiefe Gefühl für all die Schwierigkeiten, die sich der Ausführung der folgenden Bitte entgegenstellen: füge der Sendung des Schneiders ein paar Stiefel, ein paar Schuhe, einen Hut und sechs paar Handschuhe hinzu! Ich weiß, ich verlange Unmögliches. Aber ist nicht das literarische Leben die zur Regel, nämlich zum regelrechten Geldabknöpfen gemachte Unmöglichkeit? ... Ich gebe Dir nur einen Wink: vollziehe das Wunder, indem Du einen großen Artikel oder eine kleine Niedertracht schreibst, und dann bist Du Deiner Schuld gegen

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