Verlorene Illusionen (German Edition)
spielte die Militärmusik Variationen über die Melodie ›Heil dem König, Frankreich Heil!‹ die nicht populär geworden ist. Es war fünf Uhr. Um acht Uhr gab ein Dessert von fünfundzwanzig Platten, das sich durch einen Olymp aus Zuckerwerk auszeichnete, auf dem eine Frankreich darstellende Figur aus Schokolade thronte, das Zeichen zu den Trinksprüchen.
»Meine Herren!« sagte der Präfekt und erhob sich: »Auf den König!...die Legitimität! Verdanken wir nicht dem Frieden, den die Bourbonen uns gebracht haben, die Generation der Dichter und Denker, die den Händen Frankreichs das Zepter der Literatur sichert?! ...«
»Es lebe der König!« riefen die Gäste, unter denen die Ministeriellen in der Überzahl waren. Der ehrwürdige Direktor des Lyzeums erhob sich.
»Dem jungen Dichter,« sagte er, »dem Helden des Tages, der mit der Anmut und der Kunst eines Petrarca auf einem Gebiet, das Boileau so schwierig nannte, das Talent des Prosaschriftstellers vereinigt!«
»Bravo, Bravo!«
Der Oberst erhob sich.
»Meine Herren, dem Royalisten! Denn der Held dieses Festes hat den Mut gehabt, die guten Prinzipien zu verteidigen.«
»Bravo!« sagte der Präfekt, der den Ton für den Beifall angab.
Petit-Claud erhob sich.
»Alle Kameraden Luciens, dem Ruhm des Lyzeums von Angoulême, dem ehrwürdigen Direktor, der uns so teuer ist und dem wir den Tribut für den Anteil zollen, den er an unsern Erfolgen hat! ...«
Der alte Schuldirektor, der diesen Trinkspruch nicht vermutet hatte, wischte sich die Augen.
Lucien erhob sich, die tiefste Stille herrschte, und der Dichter erblaßte. In diesem Augenblick setzte ihm der alte Direktor, der zu seiner Linken saß, einen Lorbeerkranz auf. Man klatschte in die Hände. Lucien kamen Tränen in die Augen und in die Stimme.
»Er ist betrunken«, sagte der künftige königliche Prokurator von Nevers zu Petit-Claud. »Aber nicht vom Wein«, erwiderte der Advokat.
»Meine teuren Mitbürger, meine teuren Kameraden,« sagte Lucien endlich, »ich möchte ganz Frankreich zum Zeugen dieser Szene haben. Das ist die Art, wie man Männer erhebt und in unserem Lande große Werke und große Taten hervorruft. Aber wenn ich das Wenige bedenke, was ich getan habe, und die großen Ehren, die ich dafür empfange, so gerate ich in Verwirrung und muß es der Zukunft vorbehalten sein lassen, die Aufnahme, die Sie mir heute bereiten, zu rechtfertigen. Die Erinnerung an diesen Augenblick wird mir in neuen Kämpfen Kräfte verleihen. Gestatten Sie mir, daß ich Ihre Huldigungen auf diejenige übertrage, die meine erste Muse und Gönnerin war, und daß ich auch auf meine Geburtsstadt mein Glas erhebe und rufe: Es lebe die schöne Gräfin Sixtus du Châtelet und die edle Stadt Angoulême!«
»Er hat sich nicht schlecht aus der Affäre gezogen,« sagte der Prokurator und nickte zum Zeichen der Zustimmung mit dem Kopfe; »denn unsere Trinksprüche waren vorbereitet, und der seine ist improvisiert.«
Um zehn Uhr entfernten sich die Gäste in Gruppen. Als David Séchard die außergewöhnliche Musik hörte, sagte er zu Basine: »Was geht denn in Houmeau vor?«
»Man gibt Ihrem Schwager Lucien ein Fest ...« antwortete sie. »Es hat ihm sicher leid getan, daß ich nicht dabei war!« meinte er.
Um Mitternacht begleitete Petit-Claud Lucien bis auf die Place du Mûrier. Dort sagte Lucien zu dem Advokaten: »Mein Lieber, unter uns gesagt, es geht auf Leben und Tod.«
»Morgen«, sagte der Advokat, »wird bei Frau von Senonches mein Heiratsvertrag mit ihrem Mündel, Fräulein de la Haye, unterzeichnet; mach mir das Vergnügen, hinzukommen. Frau von Senonches hat mich gebeten, dich aufzufordern, und du triffst dort die Präfektin, die sich gewiß über deinen Trinkspruch, von dem man ihr doch sicher erzählt, sehr geschmeichelt fühlt.«
»Ich hatte so meine Absichten dabei«, erwiderte Lucien. »Du wirst David bestimmt retten!«
»Ich bin dessen sicher«, sagte der Dichter.
In diesem Augenblick tauchte wie durch Hexerei David auf. Das kam so. Er befand sich in einer recht schwierigen Lage: seine Frau verwehrte ihm streng, sowohl Lucien zu empfangen wie ihm seinen Zufluchtsort mitzuteilen, während Lucien ihm die zärtlichsten Briefe schrieb und ihm versicherte, er hätte in wenigen Tagen allen Schaden wieder gutgemacht. Nun hatte Fräulein Clerget David die beiden hier folgenden Briefe zugestellt und ihm gesagt, was das Fest, dessen Musik an sein Ohr drang, zu bedeuten hätte:
»Geliebter, tu, als ob
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