Verlorene Illusionen (German Edition)
den er in der Mühle von Courtots verbracht hatte, war er den Fluß entlang gewandelt und hatte nicht weit von der Mühle eine der runden, seeartigen Wasserflächen bemerkt, wie sie sich bei kurzen Wasserläufen finden, deren ruhige Oberfläche eine außerordentliche Tiefe anzeigt. Das Wasser ist nicht mehr grün oder blau, oder licht oder gelb: es ist wie ein Spiegel aus glänzendem Stahl. An den Ufern dieser Ausbuchtung wuchsen keine Schwertlilien und blauen Blumen mehr, die breiten Blätter der Seerose waren nicht mehr auf dem Wasser zu sehen; das Gras auf der Böschung war kurz und dicht, und malerisch standen hie und da Gruppen von Trauerweiden. Man ahnte da eine furchtbar tiefe Wasserschlucht. Wer den Mut hatte, seine Taschen mit Steinen zu füllen, mußte dort unausbleiblich den Tod finden und konnte nie wieder gefunden werden.
Als der Dichter diese reizende Landschaft bewundert hatte, hatte er sich gesagt: »Das ist ein Ort, der einem Lust macht, sich zu ertränken.«
Diese Erinnerung kam ihm in dem Augenblick, als er Houmeau erreicht hatte. Er wandelte also nach Marsac, überließ sich seinen letzten düsteren Gedanken und war fest entschlossen, auf diese Weise das Geheimnis seines Todes zu schützen, nicht Gegenstand einer Untersuchung zu werden, nicht bestattet zu werden, nicht in dem furchtbaren Zustande gesehen werden zu wollen, in dem die Ertrunkenen sind, wenn sie wieder an die Oberfläche des Wassers kommen. Er gelangte bald zum Fuß eines der Hügel, die man auf den Straßen Frankreichs und besonders zwischen Angoulême und Poitiers so häufig antrifft. In schneller Fahrt näherte sich der Postwagen von Bordeaux nach Paris, ohne Frage würden die Reisenden aussteigen, um diese lange Anhöhe zu Fuß hinaufzugehen. Lucien, der nicht gesehen sein wollte, schlug einen kleinen Seitenweg ein und pflückte in einem Weinberg Blumen. Als er wieder auf die Landstraße zurückkehrte, hielt er einen großen Strauß Mauerpfeffer in der Hand, die gelbe Blume, die auf dem steinigen Grund der Weingärten wächst. Unmittelbar vor ihm ging ein Reisender, der ganz in Schwarz gekleidet war. Seine Haare waren gepudert, an den Schuhen trug er silberne Schnallen. Sein Gesicht war braun und so mit Narben bedeckt, als wenn er als Kind ins Feuer gefallen wäre. Dieser so augenfällig nach einem Geistlichen wirkende Reisende ging langsam und rauchte eine Zigarre. Als der Unbekannte hörte, wie Lucien von dem Weinberg auf die Straße herabsprang, drehte er sich um und schien von der tief melancholischen Schönheit des Dichters, seinem symbolischen Strauß und seiner eleganten Kleidung ergriffen zu sein. Dieser Reisende glich einem Jäger, der eine lange vergebens gesuchte Beute findet. Er ließ, um es seemännisch auszudrücken, Lucien zu sich heransegeln und ging langsamer, wobei er tat, als betrachte er den Abhang des Hügels. Lucien, der auch hinblickte, sah dort eine kleine, mit zwei Pferden bespannte Kalesche und einen Postillion zu Fuß.
»Sie haben den Postwagen fortfahren lassen. Sie werden Ihren Platz verlieren, wenn Sie nicht in meine Kalesche steigen wollen, um ihn einzuholen; wir fahren schneller als der Postwagen«, redete der Reisende Lucien an. Er sprach diese Worte mit einem unverkennbaren spanischen Akzent und brachte das Anerbieten mit außerordentlicher Freundlichkeit vor.
Ohne Luciens Antwort abzuwarten, zog der Spanier ein Zigarrenetui aus der Tasche und hielt es Lucien geöffnet hin, damit er sich eine Zigarre nähme.
»Ich bin kein Reisender«, erwiderte Lucien, »und bin zu nahe am Ziel meines Weges, um mir das Vergnügen des Rauchens zu gestatten.«
»Sie sind sehr streng gegen sich«, versetzte der Spanier, »obwohl ich Domherr der Kathedrale von Toledo bin, genehmige ich mir von Zeit zu Zeit eine kleine Zigarre. Gott hat uns den Tabak gegeben, damit wir unsere Leidenschaften und unsere Schmerzen einschläfern. Sie scheinen mir Kummer zu haben, wenigstens tragen Sie das Zeichen des Kummers in der Hand, wie der traurige Gott der Ehe. Nehmen Sie ... all Ihr Kummer wird mit dem Rauche verwehen.« Und der Priester streckte noch einmal sein aus Stroh geflochtenes Etui verführerisch hin, wobei er Lucien einen teilnehmenden Blick zuwarf.
»Verzeihen Sie, ehrwürdiger Vater,« versetzte Lucien hart, »Zigarren können meinen Kummer nicht verscheuchen«; und während er das sagte, traten ihm Tränen in die Augen.
»Oh! junger Mann, war es also die göttliche Vorsehung, die mir den Wunsch eingab, mit
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