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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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den tausend Späßen, die hin und her gingen, machte dieser Diplomat die Bemerkung, das und das junge Mädchen, von der man sich wunderte, daß sie nicht heiratete, wäre sterblich verliebt in ihren Vater. Und dann setzte er uns seine Theorie über die Familienkrankheiten auseinander. Er erklärte uns, wie ohne diese Mutter dieses Haus glücklich gewesen wäre, wie jener Sohn seinen Vater zugrunde gerichtet hätte, wie wiederum ein Vater die Zukunft und das Ansehen seiner Kinder zerstört hätte. Obwohl dieses Gesellschaftsprinzip lachend erörtert wurde, war es doch binnen zehn Minuten mit so vielen Beispielen belegt, daß ich ganz betroffen war. Diese Wahrheit entschädigte für all die verrückten, aber witzig bewiesenen Paradoxe, mit denen die Journalisten sich untereinander amüsieren, wenn sich niemand findet, der mystifiziert werden kann. Ich nun bin das Unheil unserer Familie. Mein Herz ist voller Zärtlichkeit, aber ich handle wie Euer Feind. Auf all Eure Opfer habe ich mit Schlimmem erwidert. Der letzte Streich ist, obwohl er unwillkürlich geschah, der grausamste von allen. Während ich in Paris ein würdeloses Leben voller Genuß und Elend führte, während ich die Clique für Freundschaft nahm, wahrhafte Freunde für Menschen aufgab, die mich ausbeuten wollten und mußten, während ich Euch vergaß und mich nur an Euch erinnerte, um Euch Kummer zu machen, verfolgtet Ihr den bescheidenen Weg der Arbeit und ginget mit Mühen, aber sicher, dem Glück entgegen, das ich so rasend erobern wollte. Während Ihr besser wurdet, nahm mein Leben eine unheilvolle Wendung. Ja, ich trage maßlosen Ehrgeiz, der mich hindert, mich in ein bescheidenes Leben zu fügen. Ich habe Neigungen und Gelüste, und die Erinnerung an das, was ich genossen habe, vergiftet mir die Freuden, die für mich erreichbar sind und die mich früher befriedigt hätten. Oh, geliebte Eva, ich beurteile mich strenger als irgendeiner. Denn ich verdamme mich ganz und gar ohne Gnade. Der Kampf in Paris verlangt Ausdauer, und mein Wille funktioniert nur im Übermaß, mein Hirn setzt manchmal aus. Die Zukunft schreckt mich so, daß ich keine will, und die Gegenwart ist mir unerträglich. Ich habe Euch wiedersehen wollen, ich hätte besser getan, meine Heimat für immer zu meiden. Aber die Verbannung ohne Existenzmittel wäre eine Torheit, und ich werde sie nicht zu all den andern hinzufügen. Der Tod erscheint mir besser, als ein verpfuschtes Leben; und in welcher Lage ich mich auch denke, meine maßlose Eitelkeit müßte mich immer zu Torheiten bringen. Manche Menschen sind wie Nullen, sie brauchen eine Zahl, die vor ihnen steht, und ihr Nichts erlangt dann zehnfachen Wert. Ich könnte nur durch eine Verheiratung mit einem starken, unbarmherzigen Willen Wert erlangen. Frau von Bargeton wäre meine Frau geworden und wäre die rechte gewesen; ich habe mein Leben verpfuscht, als ich Coralie nicht um ihretwillen verließ. David und Du, Ihr könntet treffliche Lotsen für mich sein; aber Ihr seid nicht stark genug, um meine Schwäche zu zwingen, die sich bis zu einem gewissen Punkte gegen die Herrschaft auflehnt. Ich liebe ein leichtes Leben ohne Sorgen; und wenn es gilt, eine Widerwärtigkeit loszuwerden, bin ich von einer Erbärmlichkeit, die mich zu Schlimmem treiben kann. Ich bin zum Prinzen geboren. Mein Geist hat mehr Gewandtheit, als man braucht, um ans Ziel zu kommen. Aber ich habe ihn immer nur für den Augenblick, und der Preis in einer Rennbahn, in der so viele Ehrgeizige laufen, gehört dem, der nur so viel Geist anwendet, wie nötig ist, und am Ende des Tages immer noch etwas übrig hat. Ich täte das Schlimme, wie ich es hier getan habe, mit den besten Absichten von der Welt. Es gibt Menschen wie Eichbäume; ich bin vielleicht nur eine elegante Staude und mache den Anspruch, eine Zeder zu sein. Hier hast Du meine Bilanz und meine Bankrotterklärung. Dieses Mißverhältnis zwischen Können und Wollen, dieser Mangel an Gleichgewicht wird immer mein Ringen vergeblich machen. Es gibt in der Klasse der Intellektuellen viele solche Charaktere: es ist ein dauerndes Mißverhältnis zwischen dem Geist und dem Charakter, dem Wollen und dem Begehren. Was wäre mein Schicksal? Ich kann es voraussehen, wenn ich mich an einige alte Pariser Berühmtheiten erinnere, die ich in völliger Vergessenheit gesehen habe. Kaum an der Schwelle des Alters, wäre ich älter als meine Jahre, ohne Glück und ohne Ansehen. Mein ganzes jetziges Sein wendet sich von einem

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