Verlorene Illusionen (German Edition)
Berichte abhing. Unser schöner junger Mann fängt mit unbeschriebenem Papier an, aber er gewöhnt sich daran und geht bald zu beschriebenem Papier über, das er schmackhafter findet. Man rauchte damals noch nicht. Endlich kommt unser junger Mann immer mehr auf den Geschmack und fängt an, Pergamente zu zerkauen und sie zu essen. Man beschäftigte sich damals mit einem Friedensvertrag zwischen Rußland und Schweden, den die Stände Karl XII. auferlegen wollten, wie man 1814 Napoleon zwingen wollte, Frieden zu schließen. Die Grundlage der Verhandlungen war der Vertrag, den die beiden Mächte über Finnland abgeschlossen hatten. Görtz vertraut seinem Sekretär das Original an; aber als es so weit ist, den Plan den Ständen vorzulegen, ergibt sich die kleine Schwierigkeit, daß der Vertrag nicht zu finden ist. Die Stände kommen auf die Vermutung, der Minister habe dieses Stück, um den Leidenschaften des Königs dienstbar zu sein, verschwinden lassen wollen. Der Baron von Görtz wird angeklagt, und sein Sekretär gesteht, den Vertrag aufgegessen zu haben. Man strengt einen Prozeß an, die Tatsache wird bewiesen, der Sekretär wird zum Tode verurteilt. Aber da Sie noch nicht so weit sind, nehmen Sie eine Zigarre und rauchen Sie sie, bis unsere Kalesche kommt.«
Lucien nahm eine Zigarre und steckte sie, wie man das in Spanien tut, an der Zigarre des Priesters an. Er sagte sich: »Er hat recht, ich habe immer noch Zeit, mich zu töten.«
»Es trifft sich oft,« fuhr der Spanier fort, »daß in dem Augenblick, wo die jungen Leute am meisten an ihrer Zukunft verzweifeln, ihr Glück beginnt. Das wollte ich Ihnen sagen, ich zeigte es Ihnen lieber an einem Beispiel. Der schöne Sekretär, der zum Tode verurteilt war, war in einer um so verzweifelteren Lage, als der König von Schweden ihn nicht begnadigen konnte, weil sein Urteil von den schwedischen Ständen gesprochen worden war; aber er drückte ein Auge zu und ließ ihn entfliehen. Der hübsche junge Sekretär rettet sich mit ein paar Talern in der Tasche und kommt an den Hof von Kurland. Görtz hatte ihn dem Herzog empfohlen und ihm das Abenteuer und die Manie seines Schützlings auseinandergesetzt. Der Herzog bringt den schönen Jungen als Sekretär bei seinem Intendanten unter. Der Herzog war ein Verschwender, hatte eine hübsche Frau und einen Intendanten, das sind drei Gründe zum Ruin. Wenn Sie glauben, der hübsche Mensch, der zum Tode verurteilt worden war, weil er den finnländischen Vertrag aufgegessen hatte, habe seine perverse Neigung aufgegeben, dann wissen Sie nichts von der Herrschaft des Lasters über den Menschen; die Todesstrafe hält es nicht auf, wenn es sich um einen Genuß handelt, den es sich geschaffen hat! Woher kommt diese Herrschaft des Lasters? Ist sie eine Macht, die ihm eigen ist, oder kommt sie von der menschlichen Schwäche? Gibt es Neigungen, die an der Grenze des Wahnsinns wohnen? Ich kann mich des Lachens über die Moralisten nicht erwehren, die solche Krankheiten mit schönen Worten bekämpfen wollen!... Es gab einen Moment, in dem der Herzog, der erschreckt darüber war, daß sein Verwalter ihm ein Ersuchen um Geld abschlägig beschieden hatte, Abrechnung verlangte, – was eine Dummheit war! Es gibt nichts Leichteres, als eine Rechnung zu schreiben, das macht nie eine Schwierigkeit. Der Verwalter übergab seinem Sekretär alle Stücke, damit er eine Ausstellung über die Zivilliste von Kurland machen sollte. Mitten in der Nacht, als er dabei war, seine Arbeit fertigzumachen, merkte unser kleiner Papieresser, daß er eine Quittung des Herzogs über eine beträchtliche Summe zerkaut: die Angst packt ihn, mitten in der Unterschrift hält er lnne, er läuft spät in der Nacht zur Herzogin, wirft sich ihr zu Füßen, erklärt ihr seine Manie, fleht den Schutz seiner Fürstin an und fleht und fleht mitten in der Nacht. Die Schönheit des jungen Sekretärs macht einen solchen Eindruck auf diese Frau, daß sie ihn, als sie Witwe geworden war, heiratete. So wurde im achtzehnten Jahrhundert in einem Lande, wo der Adel regierte, ein Goldschmiedssohn souveräner Fürst ... Und er ist noch Besseres geworden! Er war beim Tode der ersten Katharina Regent, er beherrschte die Kaiserin Anna und wollte der Richelieu Rußlands sein. Und nun, junger Mann, hören Sie, was ich sage: Sie sind schöner als Biron, und ich bin, obwohl ich ein einfacher Domherr bin, viel mehr wert als der Baron von Görtz. Also steigen Sie ein! Wir finden für Sie in Paris
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