Verlorene Illusionen (German Edition)
machen zu wollen. Der Junge könnte drei Vermögen durchbringen.«
Evas Haltung sagte zur Genüge, daß die letzte Illusion über ihren Bruder verflogen war; und so machte der Anwalt eine Pause, um das Schweigen seiner Klientin in eine Art Zustimmung zu verwandeln.
»In dieser Sache also«, fuhr er dann fort, »handelt es sich nur noch um Sie und Ihr Kind. Sie müssen wissen, ob zweitausend Franken Einkommen, ohne die Erbschaft des alten Séchard zu rechnen, Ihnen zu Ihrem Glück genügen. Ihr Schwiegervater hat seit langem ein Einkommen von sieben- bis achttausend Franken, ohne die Zinsen zu rechnen, die er aus seinen Kapitalien zieht: also haben Sie schließlich eine schöne Zukunft vor sich. Warum also wollen Sie sich quälen?«
Der Advokat verließ Frau Séchard, um sie dem Nachdenken über diese Aussicht zu überlassen, die der große Cointet am Tage vorher so geschickt vorbereitet hatte.
»Zeigen Sie ihnen die Möglichkeit, irgendeine Summe in die Hand zu bekommen,« hatte der große Spekulant von Angoulême zu dem Anwalt gesagt, als dieser ihm Mitteilung von der Verhaftung gemacht hatte; und wenn sie sich an den Gedanken gewöhnt haben, eine Summe einzuheimsen, gehören sie uns: wir handeln hin und her, und allmählich bringen wir sie zu dem Preis, den wir für das Geheimnis geben wollen.«
Dieser Satz enthielt in Kürze den Inhalt des zweiten Aktes dieses Finanzdramas.
Als Frau Séchard, voller Angst über das Schicksal ihres Bruders, sich angezogen hatte und die Treppe hinabging, um sich in das Gefängnis zu begeben, quälte sie die Aufregung bei der Vorstellung, sie sollte allein durch die Straßen von Angoulême gehen. Ohne an die Ängstlichkeit seiner Klientin zu denken, kam Petit-Claud zurück, um ihr den Arm anzubieten. Ein recht machiavellistischer Gedanke hatte ihn zurückgeführt, und er bekam den Lohn für seine Aufmerksamkeit, für die Eva überaus erkenntlich war; denn er ließ sich dafür danken, ohne ihr ihren Irrtum zu benehmen. Diese kleine Aufmerksamkeit bei einem so harten und rauhen Menschen und in einem solchen Augenblick änderte die Meinung, die Frau Séchard bisher über Petit-Claud gehabt hatte.
»Ich führe Sie«, sagte er zu ihr, »auf dem längsten Wege, aber hier begegnen wir niemandem.«
»Das ist das erstemal, daß ich nicht das Recht habe, mit erhobenem Kopfe durch die Straßen zu gehen; man hat es mir gestern sehr hart beigebracht.«
»Es wird das erste- und das letztemal sein.«
»Oh, ich bleibe sicher nicht in dieser Stadt.«
»Wenn Ihr Mann in die Vorschläge, die so ziemlich zwischen den Cointet und mir vereinbart sind, willigt,« sagte der Anwalt zu Eva, als sie am Gefängnis angelangt waren, »dann lassen Sie es mich wissen, ich komme dann sofort mit einer Autorisation von Cachan, die David erlauben wird auszugehen; und wahrscheinlich wird er dann nicht ins Gefängnis zurück müssen.«
Diese Worte, die Eva so, mit dem Gefängnis vor Augen, anhörte, waren, was die Italiener eine Kombination nennen. Bei ibnen bedeutet dieses Wort den undefinierbaren Akt, in dem sich eine Mischung aus Recht und Perfidie, erlaubter Betrug im günstigen Zeitpunkt und ein wohlvorbereiteter, sozusagen gesetzlicher Schurkenstreich begegnen; nach ihrer Ausdrucksweise ist die Bartholomäusnacht eine politische Kombination.
Aus den oben angeführten Gründen kommt die Schutzhaft in der Provinz so selten vor, daß es in den meisten Städten Frankreichs kein besonderes Arresthaus für diesen Zweck gibt. In diesem Fall wird der Schuldner in das Gefängnis eingeliefert, wo man ihn mit den Verdächtigen, Beschuldigten, Angeklagten und Verurteilten zusammen einsperrt. Das sind die verschiedenen Namen, die bei uns in Frankreich auf Grund des Gesetzes hintereinander die bekommen, die das Volk ohne Unterschied Verbrecher nennt. Daher wurde David vorläufig in einer der niedrigen Zellen des Gefängnisses von Angoulême untergebracht, die vielleicht irgendein Verurteilter, der seine Zeit abgemacht hatte, eben verlassen hatte. Nachdem David eingeliefert war und die Summe erhalten hatte, die das Gesetz für die Verpflegung eines Gefangenen während eines Monats bestimmt, kam er vor einen dicken Mann, der über die Gefangenen eine unumschränktere Gewalt hatte, als ein König sie besitzt: den Gefangenwärter. In der Provinz kennt man keine mageren Gefangenwärter. Einmal ist diese Stelle fast eine Pfründe; dann ist ein Gefangenwärter in der Lage eines Gastwirts, der für sein Haus keine Miete zu
Weitere Kostenlose Bücher