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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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zahlen hat, er ernährt sich dadurch sehr gut, daß er seine Gefangenen, denen er übrigens, wie es der Gastwirt tut, je nach ihren Mitteln Zimmer anweist, sehr schlecht ernährt. Er kannte David, hauptsächlich von seinem Vater her, mit Namen und schenkte ihm so viel Vertrauen, daß er ihn, obwohl er keinen Heller bei sich hatte, für eine Nacht gut unterbrachte. Das Gefängnis von Angoulême stammt aus dem Mittelalter und hat nicht mehr Veränderungen erlitten als die Kathedrale. Es heißt noch Justizgebäude und stößt an das frühere Landesgericht an. Die Einlaßpforte ist klassisch, es ist eine starke, abgenutzte, niedrige Tür, deren Bau um so mehr einen zyklopischen Eindruck macht, als das runde Fenster, durch das der Kerkermeister die Leute sehen kann, bevor er öffnet, aussieht wie ein einziges Auge auf der Stirn. Im Erdgeschoß zieht sich der Front entlang ein Flur, und auf diesen Flur öffnen sich mehrere Kammern, deren hohe, vergitterte Fenster auf den Gefängnishof gehen. Der Gefängniswärter hat eine Wohnung, die von diesen Gefangenen durch ein Gewölbe getrennt ist, das das Erdgeschoß in zwei Teile teilt und an dessen Ende man von der Eingangspforte aus ein Gitter sieht, das den Gefängnishof abschließt. David wurde von dem Kerkermeister in eine Kammer geführt, die neben dem Gewölbe lag und deren Tür sich seiner Wohnung gegenüber befand. Der Gefängniswärter wollte einen Mann zum Nachbar haben, der ihm in Anbetracht seiner besonderen Lage Gesellschaft leisten konnte.
    »Das ist die beste Kammer«, sagte er, als er sah, daß David beim Anblick dieses Raumes starr war.
    Die Wände dieser Kammer waren aus Stein und ziemlich feucht. Die Fenster lagen sehr hoch und waren mit starken Eisenstangen vergittert. Die Steinfliesen des Fußbodens atmeten eine grimmige Kälte aus. Man hörte den regelmäßigen Schritt der Schildwache, die auf dem Flur hin und her ging. Dieses Geräusch, das eintönig war wie das der Flut, bewirkt, daß einen keinen Augenblick lang der Gedanke verläßt: Man bewacht dich! Du bist nicht mehr frei! Alle diese Einzelheiten und der Gesamteindruck versetzen anständige Menschen in eine gräßliche Stimmung. David sah ein abscheuliches Bett; aber die Gefangenen sind in der ersten Nacht so aufgeregt, daß sie die Härte ihres Lagers erst in der zweiten bemerken. Der Wärter war liebenswürdig und schlug natürlich seinem Sträfling vor, bis zum Anbruch der Nacht auf dem Hof spazieren zu gehen. Davids Qual begann erst, als er schlafen ging. Es war verboten, den Gefangenen Licht zu geben, es bedurfte also einer Erlaubnis des Prokurators, um den Mann, der in Schuldhaft saß, von der Gefängnisordnung, die ohne Zweifel nur für die eines Verbrechens Überführten gemacht war, auszunehmen. Der Kerkermeister nahm zwar David mit in seine Wohnung; aber schließlich mußte er zur Schlafenszeit eingeschlossen werden. Evas armer Mann lernte jetzt die Schrecknisse des Gefängnisses und die Roheit seiner Einrichtungen, die ihn empörten, kennen. Aber es trat die Gegenwirkung ein, die den Denkern vertraut ist: er zog sich in diese Einsamkeit zurück und rettete sich aus ihr in einen der Träume, in denen die Dichter auch im Wachen leben können. Der Unglückliche richtete schließlich seine Gedanken auf seine Angelegenheiten. Das Gefängnis befähigt außerordentlich zu scharfer Prüfung des Gewissens. David fragte sich, ob er seine Pflichten als Hausvater erfüllt hätte. In welcher Verzweiflung mußte seine Frau sich befinden! Warum hatte er nicht, wie Marion ihm geraten, erst so viel Geld verdient, bis er in Muße seiner Entdeckung nachgehen konnte.
    »Wie«, fragte er sich, »können wir nach einem solchen Skandal in Angoulême bleiben? Was soll aus uns werden, wenn ich aus dem Gefängnis komme? Wo sollen wir hin?«
    Selbst über das Verfahren, das er entdeckt hatte, kamen ihm einige Zweifel. Das war eine Angst, die nur Erfinder verstehen können! Von Zweifel zu Zweifel wurde David seine Lage immer klarer, und er sagte sich selbst, was die Cointet dem alten Séchard gesagt hatten, was Petit-Claud eben Eva gegenüber geäußert hatte: »Vorausgesetzt, daß alles gut geht; wie wird es nachher mit der Anwendung stehen? Ich brauche ein Erfinderpatent, dazu ist Geld nötig!... Ich brauche eine Fabrik, in der ich meine Versuche im großen machen kann, das heißt mein Geheimnis preisgeben! ... Oh, wie recht Petit-Claud hatte!«
    Die dunkelsten Gefängnisse spenden sehr lebhaftes Licht.
    »Ach

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