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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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werde neben dir in deinem Tilbury fahren, lieber Junge, werde mich an deinen Erfolgen bei den Weibern laben, werde sagen: ›Dieser schöne junge Mensch bin ich! Diesen Marquis von Rubempré habe ich geschaffen und in die Welt der Aristokratie gestellt; seine Größe ist mein Werk, er schweigt oder spricht mit meiner Stimme, er berät sich mit mir über alles.‹ Der Abbé von Vermont war das für Marie-Antoinette.«
    »Er hat sie zum Schafott geführt!«
    »Er liebte nicht die Königin!...« erwiderte der Priester, »er liebte nur den Abbé von Vermont.«
    »Soll ich die Verzweiflung hinter mir lassen?«
    »Ich habe Schätze, sie stehen dir zur Verfügung.«
    »In diesem Augenblick täte ich viel, wenn ich Séchard freimachen könnte«, erwiderte Lucien mit einer Stimme, aus der nichts mehr von Selbstmord klang. »Sprich ein Wort, mein Sohn, und er empfängt morgen früh die Summe, die zu seiner Befreiung notwendig ist.«
    »Wie! Sie wollten mir zwölftausend Franken geben?«
    »Höre, mein Kind! Du siehst, wir machen vier Meilen in der Stunde. Wir werden zum Diner in Poitiers sein. Wenn du dort den Vertrag besiegeln willst, mir einen einzigen Beweis des Gehorsams geben willst – er ist groß, ich will ihn! –, dann trägt die Eilpost nach Bordeaux fünfzehntausend Franken zu deiner Schwester...«
    »Wo sind sie?«
    Der spanische Priester antwortete nichts, und Lucien sagte sich: ›Da habe ich ihn, er hat sich über mich lustig gemacht.‹ Einen Augenblick später waren der Spanier und der Dichter schweigend wieder in den Wagen gestiegen. Schweigend steckte der Priester die Hand in die Wagentasche, zog den in drei Fächer geteilten ledernen Sack heraus, den alle Reisenden so gut kennen, und entnahm ihm, indem er dreimal seine breite Hand hineinsteckte, die jedesmal mit Gold gefüllt wieder auftauchte, hundert Portugalesen.
    »Vater, ich gehöre Ihnen«, sagte Lucien, der von diesem Goldstrom geblendet war. »Kind,« versetzte der Priester und küßte Lucien zärtlich auf die Stirn, »das ist nur der dritte Teil des Goldes, das in diesem Säckchen steckt. Dreißigtausend Franken, ohne das Reisegeld zu zählen.«
    »Und Sie reisen allein!« rief Lucien.
    »Was bedeutet das?« versetzte der Spanier, »ich habe für mehr als hunderttausend Taler Wechsel auf Paris bei mir. Ein Diplomat ohne Geld ist dasselbe wie das, was du jetzt noch eben gewesen bist: ein Dichter ohne Willen.«
     
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    In dem Augenblick, in dem Lucien mit dem angeblichen spanischen Diplomaten in den Wagen stieg, stand Eva auf, um ihrem Kinde zu trinken zu geben. Sie fand den verhängnisvollen Brief und las ihn. Kalter Schweiß brach ihr aus, es wurde ihr dunkel vor den Augen, sie rief Marion und Kolb.
    Auf die Frage: »Ist mein Bruder fortgegangen?« antwortete Kolb: »Ja, Frau, vor Tagesanbruch!«
    »Bewahrt mir das tiefste Geheimnis über das, was ich euch anvertraue,« sagte Eva zu den beiden Bediensteten, »mein Bruder ist ohne Zweifel weggegangen, um seinem Leben ein Ende zu machen. Eilt ihr beide fort, zieht vorsichtig Erkundigungen ein und seht euch am Ufer des Flusses um.«
    Eva blieb in einem entsetzlichen Zustand der Erstarrung zurück. Während sie sich in dieser furchtbaren Verfassung befand, kam um sieben Uhr morgens Petit-Claud, um mit ihr von Geschäften zu sprechen. In solchen Lagen hört man all und jeden an.
    »Frau Séchard,« sagte der Anwalt, »unser lieber armer David ist im Gefängnis, und es ist nun zu dem gekommen, was ich von Anfang an vermutet habe. Ich riet ihm damals, sich zur Ausbeutung der Entdeckung mit seinen Konkurrenten, den Cointet, zusammenzutun, die die Mittel in ihren Händen haben, das zur Wirklichkeit zu machen, was bei Ihrem Gatten noch im Zustand der Konzeption ist. Sowie ich also gestern abend die Nachricht von seiner Verhaftung erhielt, was tat ich da? Ich suchte die Herren Cointet in der Absicht auf, sie zu Bedingungen zu bewegen, mit denen Sie einverstanden sein könnten. Wenn Sie diese Entdeckung selbst ausnutzen wollen, wird Ihr Leben dauernd sein, was es jetzt ist: ein Leben der Schikanen, in denen Sie unterliegen müssen, oder Sie machen schließlich erschöpft und aufgerieben, vielleicht zu Ihrem Nachteil, mit einem Geldmann, was Sie nach meinem Rat gleich heute mit der Firma Gebrüder Cointet machen sollen. Sie ersparen sich so die Entbehrungen und Qualen des Kampfes, den der Erfinder gegen die Habgier der Kapitalisten und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft führen muß. Beachten Sie ja:

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