Verlorene Illusionen (German Edition)
was!« sagte David, als er im Begriff war, auf dem primitiven Feldbett, das eine schreckliche Matratze aus sehr grobem braunen Stoff hatte, einzuschlafen, »ohne Zweifel besucht mich Petit-Claud morgen früh.«
David hatte sich also selbst darauf vorbereitet, die Vorschläge anzuhören, die seine Frau ihm von seiten seiner Feinde überbrachte. Nachdem sie ihren Mann umarmt und sich auf das Bett gesetzt hatte, denn es stand nur ein einziger, sehr gewöhnlicher Holzstuhl da, fiel der Blick der armen Frau auf den gräßlichen Kübel, der in einer Ecke stand, und auf die Wände, auf die Davids Vorgänger in großer Zahl ihre Namen und allerlei Sprüche geschrieben hatten. Jetzt stürzten aus ihren vom Weinen ohnehin geröteten Augen die Tränen von neuem hervor, als sie ihren Mann wie einen Verbrecher untergebracht sah.
»Dahin also kann der Drang nach dem Ruhme führen!« rief sie aus. »O Geliebter, verlaß diesen Weg ... Wir wollen zusammen auf der breiten Landstraße gehen, wir wollen nicht plötzlich zu großem Vermögen zu kommen suchen ... Ich brauche wenig, um glücklich zu sein, besonders nachdem ich so viel gelitten habe! ... Und wenn du wüßtest! Diese schimpfliche Verhaftung ist nicht unser größtes Unglück! Lies!«
Sie übergab ihm Luciens Brief, den David bald gelesen hatte; und um ihn zu trösten, berichtete sie ihm das häßliche Wort des Advokaten über Lucien.
»Wenn Lucien sich getötet hat, ist es jetzt geschehen,« sagte David; »und wenn es jetzt nicht geschehen ist, wird er sich nicht töten: er kann, wie er selbst sagte, nicht länger als einen Morgen lang Mut haben.«
»Aber kann man denn in dieser Angst bleiben?« rief die Schwester, die bei dem Gedanken an den Tod schon fast alles verziehen hatte.
Sie berichtete ihrem Manne die Anträge, die Petit-Claud angeblich von den Cointet erhalten hatte, und David nahm sie sofort mit sichtlicher Freude auf.
»Wir werden in einem Dorfe in der Nähe von Houmeau, wo die Fabrik der Cointet gelegen ist, unser Auskommen finden, und ich will nichts mehr als Ruhe«, rief der Erfinder. »Wenn Lucien sich den Tod gegeben hat, haben wir genug Vermögen, um die Erbschaft meines Vaters abzuwarten; und wenn er lebt, wird der arme Junge lernen müssen, sich unserem bescheidenen Leben anzubequemen. Die Cointet werden sicher an meiner Entdeckung Geld verdienen; aber was bin ich schließlich im Vergleich zu meinem Vaterlande? Ein einzelner Mensch. Wenn meine Erfindung allen nützt, so will ich zufrieden sein. Siehst du, liebe Eva, wir sind alle beide nicht zum Kaufmann geschaffen. Wir kennen beide weder die Liebe zum Gewinn noch die Überlegsamkeit im Geldausgeben, selbst wenn das Geld noch so ehrlich verdient ist; und das sind vielleicht die Tugenden des Kaufmanns, denn man nennt diese beiden verschiedenen Formen des Geizes Vorsicht und Geschäftsgeist.«
Eva war entzückt über diese Übereinstimmung der Ansichten, die eine der köstlichsten Blüten der Liebe ist, denn die Interessen und der Geist brauchen bei zwei Menschen, die sich lieben, nicht im Einklang zu stehen. Sie bat nun den Kerkermeister, an Petit-Claud eine Zeile zu schicken, durch die sie ihm mitteilte, er solle für Davids Freilassung sorgen, da sie beide mit den Grundlagen der geplanten Vereinbarung einverstanden wären. Zehn Minuten später trat Petit-Claud in Davids schreckliches Gemach und sagte zu Eva: »Gehen Sie nach Hause, Frau Séchard, wir kommen nach. – Nun, lieber Freund,« sagte er dann zu David, »du hast dich also fangen lassen! Und wie hast du den Fehler begehen können, auszugehen?«
»Wie hätte ich nicht ausgehen sollen? Sieh hier, was mir Lucien geschrieben hat.«
David übergab Petit-Claud den Brief Cérizets; der Advokat nahm ihn, las ihn, strich über das Papier und plauderte von den Geschäften, während er den Brief wie aus Zerstreuung zusammenfaltete und in die Tasche steckte. Dann faßte er David untern Arm und ging mit ihm, denn die Erlaubnis des Gerichtsvollziehers war während dieses Gesprächs dem Gefängniswärter überbracht worden.
David glaubte sich, als er zu Hause war, im Himmel. Er weinte wie ein Kind, als er seinen kleinen Lucien küßte und sich nach zwanzig Tagen der Einschließung, deren letztes Stadium ein nach der Auffassung der Provinz so schimpfliches gewesen war, wieder in seinem Schlafzimmer sah. Kolb und Marion waren zurückgekommen. Marion hatte in Houmeau erfahren, daß man Lucien jenseits Marsac auf der Straße nach Paris gesehen hatte.
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