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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wären. Die Spanier haben vielfach vom Ruhme der Mauren gelebt.
    Als der Spanier wieder in die Kalesche stieg, sagte er dem Postillion ins Ohr: »Es muß schnell gehen, es gibt drei Franken Trinkgeld.« Lucien zögerte einzusteigen, der Priester sagte zu ihm: »Nur zu, kommen Sie!«
    Und Lucien stieg ein, indem er sich einredete, er wollte gegen ihn ein argumentum ad hominem loslassen.
    »Ehrwürdiger Vater,« sagte er zu ihm, »ein Mann, der mit so kaltem Blute Lehren entwickelt hat, die viele gute Bürger für äußerst unmoralisch halten würden...«
    »Und die es sind,« fiel der Priester ein; »darum wollte Jesus Christus, daß das Ärgernis sei, mein Sohn; und darum zeigt die Welt einen so großen Abscheu vor dem Ärgernis.«
    »Ein Mann Ihres Charakters wird sich nicht über die Frage wundern, die ich ihm stellen will?«
    »Aber, mein Sohn,« versetzte Carlos Herrera, »Sie kennen mich nicht. Glauben Sie, ich würde einen Sekretär nehmen, ehe ich wüßte, ob er Prinzipien hat, die zuverlässig genug sind, daß ich keinen Schaden erleide? Ich bin mit Ihnen zufrieden. Sie haben noch die ganze Unschuld des Jünglings, der sich mit zwanzig Jahren tötet. Ihre Frage?...«
    »Warum interessieren Sie sich für mich? Welchen Preis wollen Sie für meinen Gehorsam? Warum geben Sie mir alles? Was ist Ihr Anteil?«
    Der Spanier sah Lucien an und lächelte.
    »Warten wir ab, bis es bergauf geht, wir können dann aussteigen und zu Fuß gehen und im Freien sprechen. Das Innere eines Wagens ist nicht der Ort für solche Enthüllung.«
    Es trat einige Zeit Schweigen zwischen die beiden Reisegefährten, und die Schnelligkeit der Fahrt trug noch zu dem moralischen Rausch Luciens bei.
    »Hier ist die Steigung«, sagte Lucien, der wie aus einem Traum erwachte.
    »Schön, gehen wir!« sagte der Priester und rief mit lauter Stimme dem Postillion zu, er sollte halten. Sie stiegen beide aus und gingen zu Fuß auf der Straße weiter. »Kind,« sagte der Spanier und legte seinen Arm auf den Luciens, »hast du über das ›Gerettete Venedig‹ von Otway nachgedacht? Hast du die tiefe Freundschaft zwischen Mann und Mann verstanden, die Pierre und Jaffier verbindet, die für sie eine Frau zu einer unbedeutenden Kleinigkeit macht und die alle sozialen Unterschiede zwischen ihnen aufhebt?... So viel für den Dichter.« ›Der Domherr kennt auch das Theater‹, sagte Lucien für sich selbst. »Haben Sie Voltaire gelesen?« fragte er ihn. »Ich habe Besseres getan,« erwiderte der Domherr, »ich setze ihn in Wirklichkeit um.«
    »Sie glauben nicht an Gott?«
    »Sieh da, jetzt bin ich der Atheist!« sagte der Priester lächelnd. »Halten wir uns an das Positive, kleiner Freund«, fuhr er fort und legte seinen Arm um ihn. »Ich bin sechsundvierzig Jahre alt, bin der natürliche Sohn eines spanischen Granden, also sozusagen ohne Familie, und ich habe ein Herz... Aber lerne eines, grabe es in dein Hirn, das noch so weich ist: der Mensch hat ein Grauen vor der Einsamkeit. Und von allen Einsamkeiten ist die moralische die schrecklichste. Die ersten Einsiedler lebten mit Gott, sie bewohnten die Welt, die am bevölkertsten ist, die Welt der Geister. Die Geizigen bewohnen die Welt der Phantasie und der Genüsse. Der Geizige hat alles in seinem Hirn, sogar sein Geschlecht. Der erste Gedanke des Menschen, sei er ein Aussätziger oder ein Galeerensträfling, ein Frevler oder ein Kranker, ist: einen Genossen seines Schicksals zu haben. Um diesem Trieb, der das Leben selbst ist, zu genügen, wendet er alle Kräfte, alle Macht, die ganze Energie seines Lebens an. Hätte ohne dieses beherrschende Verlangen Satan Gefährten finden können? Darüber wäre eine ganze Dichtung zu schreiben, die das Vorspiel zum ›Verlorenen Paradies‹ wäre, denn dieses ist nichts als die Apologie der Empörung.«
    »Und dieses neue Gedicht wäre die Iliade der Verderbnis«, meinte Lucien. »Gut also, ich bin allein, ich lebe allein! Ich trage das Gewand, aber nicht das Herz eines Priesters. Ich liebe, mich aufzuopfern; das ist mein Laster. Ich lebe von der Aufopferung, darum bin ich Priester. Ich fürchte nicht die Undankbarkeit, und ich bin dankbar. Die Kirche ist für mich nichts; sie ist eine Idee. Ich habe mich dem König von Spanien zu eigen gemacht; aber man kann den König von Spanien nicht lieben. Er ist mein Schutzherr, er schwebt über mir. Ich will mein Geschöpf lieben, will es modeln, es zu meinem Dienst kneten, um es zu lieben, wie ein Vater sein Kind liebt. Ich

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