Verlorene Liebe
kontrollieren konnte. Man bemühte sich dann, ein guter Polizist zu sein. Aber sich an der eigenen Objektivität festzuhalten, war genauso, als wollte man sich an einem nassen Seil festklammern: Unweigerlich rutschte man immer weiter ab.
»Morgans Mutter ist heute morgen gestorben«, sagte Ed, nachdem er aufgelegt hatte. »Die ganze Familie hat für ein paar Tage die Stadt verlassen.« Ben las in Eds Augen, wie frustriert er war. Ein paar Tage waren viel zu lange. »Ich ziehe Grace von der Sache ab.«
»Das verstehe ich.«
»Verdammt, sie hat kein Recht, sich so der Gefahr auszusetzen. Grace gehört nicht einmal hierher. Sie ist New Yorkerin und lebt dort in einem Penthouse. Je länger sie bleibt …«
»Desto schwerer wird es dir fallen, dich von ihr zu verabschieden«, wandte Ben ein. »Ed, vielleicht will sie gar nicht von hier fort.« Kein Partner ließ den anderen je im Stich.
»Ich liebe sie so sehr, daß es für mich einfacher wäre, sie sicher und geborgen in New York zu wissen als hier an meiner Seite.«
Ben hockte sich auf die Couchlehne und zündete sich eine Zigarette an. Die achtzehnte heute. »Weißt du, was ich immer an dir am meisten bewundert habe? Abgesehen von deiner Meisterschaft im Armdrücken? Deinen Blick für Menschen, Ed. Normalerweise weißt du schon nach zehn Minuten, wen du vor dir hast. Deswegen dürfte dir sicher längst aufgegangen sein, daß Grace bestimmt keinen Rückzieher macht.«
»Vielleicht habe ich es ihr nur noch nicht deutlich genug gesagt.« Er schob trotzig die großen Hände in die Hosentaschen.
»Noch vor ein paar Monaten hatte ich ernsthaft vor, Tess Handschellen anzulegen und sie ins nächste Flugzeug zu setzen. Ganz gleich wohin, Hauptsache, weit weg von hier.« Ben betrachtete bedauernd die Spitze seiner Zigarette. Wie rasch diese Glimmstengel doch verqualmten. »Heute, mit etwas Abstand, weiß ich es besser. Es hätte nie funktioniert. Wenn Tess sich einmal zu etwas entschlossen hat, zieht sie das auch bis zu Ende durch. Sie ist eben aus solchem Holz geschnitzt. Damals war mir um sie wirklich angst und bange. Und damit habe ich ihr wohl den letzten Nerv geraubt.«
»Wenn du sie mehr bedrängt hättest, wäre sie womöglich nicht in die Situation geraten, in der du sie beinahe verloren hättest.« Die Worte waren Ed wie bei einem Energieausbruch über die Lippen gekommen, und er bereute sie schon einen Moment später. »Tut mir leid, ich war nicht ganz bei mir.«
Wenn er nicht seinen Partner vor sich gehabt hätte, wäre Ben jetzt bestimmt auf ihn losgegangen, um ihm mit schlagkräftigen Argumenten die Meinung zu sagen. Aber weil es Ed war, schluckte er seinen Ärger hinunter. »Glaub mir, das habe ich mich selbst mindestens schon hundertmal gefragt. Ich kann einfach nicht vergessen, wie ich mich gefühlt habe, als er Tess in seiner Gewalt hatte.« Er drückte seine Zigarette aus, erhob sich und lief auf und ab. »Du willst Grace aus diesem Teil deines Lebens ausschließen, und zwar vollkommen. Du möchtest, daß sie gar nicht erst mit der ganzen Scheiße in Berührung kommt, durch die du Tag für Tag watest. Die Bandenüberfälle, die häuslichen Auseinandersetzungen, die Nutten und die Zuhälter. Doch laß dir von mir gesagt sein, daß das nie klappen kann; denn ganz gleich, wie sehr du dich auch anstrengst, du wirst immer etwas von dem ganzen Mist mit nach Hause bringen.«
»Zwischen etwas davon mit nach Hause bringen und die Liebste als Zielscheibe aufstellen, besteht ja wohl ein Unterschied.«
»Stimmt, aber Grace ist nun einmal in diese Sache verwickelt.« Ben fuhr sich durchs Haar. »Bei Gott, ich weiß, was du zur Zeit durchmachst, und ich kann es nicht ausstehen. Nicht nur wegen dir, sondern auch deswegen, weil alle Erinnerungen wieder in mir hochkochen. Aber die Tatsache bleibt bestehen, und kein Weg führt daran vorbei, daß sie den Kerl an die Angel bekommt. Ganz gleich, wie sehr du dir wünschen magst, es wäre anders – Grace ist diejenige, die ihn für uns festnagelt.«
»Darauf hoffe ich selbst am allermeisten«, sagte sie. Grace stand in der Tür. Beide Männer drehten sich zu ihr um, aber sie sah nur Ed an. »Tut mir leid, aber als mir klar wurde, daß ihr beide euch privat unterhaltet, hatte ich schon zuviel von dem Gespräch mitbekommen. Ich bin auf dem Weg in die Küche, um Kaffee zu machen. Aber vorher möchte ich gern noch meine Meinung dazu sagen: Wenn ich etwas beginne, beende ich es auch. Immer.«
Grace verschwand, und Ben nahm
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