Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
warf einen kurzen Blick hinein und hatte sofort die Gewissheit gewonnen, hier ausreichend Platz für die Garderobe gefunden zu haben. Sehr wahrscheinlich würde hier die Garderobe aller derzeitigen Klinikinsassen Platz finden. Es gab Kleiderstangen, genug herausklappbare Schuhträger für alle Schuhe, die sie noch in ihrem Leben kaufen würde und ausreichend Platz für Pullover, Blusen und Unterwäsche. Sie schob ihre Trollys in die begehbare Kleiderhalle und holte aus einem ihren Kulturbeutel, um sich frisch zu machen.
Als sie die Türe zum Bad öffnete, erstrahlten die beiden Lampen neben der Türe wie von Geisterhand. Auch im mit weißem Marmor gefliesten Badezimmer ging ein üppiger, zehnflammiger Leuchter an. Es gab eine Badewanne und ein Waschbecken in Muschelform. Oberhalb der Höhe des Waschbeckens lief ein dunkler Fries mit diversen verspielten Jugendstilblüten einmal rund um das Badezimmer. Die Armaturen waren dreiteilig, ein stolzer Wasserhahn, der aus poliertem Messing in der Mitte zwischen zwei Reglern stand. Die beiden Regler sahen aus, als wären sie aus einem Schachspiel entwichen. Ein großes ‚W‘ und ein großes ‚K‘ waren schwarz in dem weißen Porzellankreis eingelassen. Jeder Regler streckte vier Ärmchen von sich, die am Ende eine Kugel als Abschluss hatten.
Das Messingrohr des Wasserhahns nahm in der Mitte eine bedenkliche Krümmung nach oben auf, um sich kurz drauf wieder abzusenken. Über dem Muschelwaschbecken hing ein großer, ovaler Spiegel aus gebeiztem Nussbaum. Gegenüber an der Wand befand sich ein Pendant mit genau demselben Muster über einem zerbrechlich wirkenden Tischchen, auf dem zwei weiße Flakons mit Badeöl standen.
Vor der Badewanne lag ein flauschiger, cremefarbener Teppich. Neben der Badewanne stand ein dreiteiliger, geschwungener Paravent, dahinter ein Hocker mit schwarzem Samt bezogen und als wäre all die Pracht noch nicht genug gewesen, gab es noch eine riesige Stehlampe mit einem massiven Holzfuß, die anging, als sie hinter den Paravent trat. Der schwarze Lampenschirm wirkte wie der Helm eines Soldaten. Ein goldener Efeu schlang sich von unten nach oben um den streng geraden Ständer der Lampe. Sie suchte nach einer Lichtschranke, fand aber nichts dergleichen.
Beinahe schüchtern stellte sie ihre Badeutensilien auf dem Tischchen ab. Jedes weitere Accessoire wirkte wie ein störender Eingriff in das Gesamtkunstwerk dieses Badezimmers.
Nachdem sie sich frisch gemacht hatte und sich jetzt schon auf ein entspannendes Bad freute, war sie ebenso neugierig auf das Essen.
*
Frau Doktor Clara von Hohenstetten hatte sich gerade vor dem Mikrofon aufgebaut, um ihre Ankündigung zu verlesen. Sie hatte bis zum Abendessen damit gewartet in der Hoffnung, es gäbe bis dahin schon weitere Ergebnisse von der Polizei. Die gab es nicht. Also musste sie nun erklären, dass es einen ungeklärten Diebstahl gegeben hatte. In ihrer Klinik. Wo sonst nicht passieren durfte, ohne dass sie davon etwas wusste.
Der Essenssaal der Klinik machte seinem Namen alle Ehre. Es war ein Saal. Carola Pütz hätte auch nichts anderes erwartet. Sie öffnete gerade die Türe und blieb stehen. Jemand wollte allem Anschein nach eine Ankündigung machen.
Der Mikrofonständer befand sich auf einer kleinen Empore auf der dem Eingang gegenüberliegenden Schmalseite des Raumes. Auf dieser Empore fanden abends dann und wann kleinere Konzerte oder Gesangsdarbietungen statt. Oder jemand spielte dort Klavier.
Frau Doktor von Hohenstetten tippte kurz mit dem Zeigefinger gegen das Mikro. Es war an. Sie räusperte sich. Weniger, weil sie heiser war, als dass sie damit noch mehr Aufmerksamkeit zu haben hoffte.
„Sehr verehrte Gäste unseres Hauses“, sagte sie mit belegter Stimme, „Ich muss Ihnen leider mitteilen und gleichzeitig versichern, dass ich untröstlich darüber bin, es hat einen Diebstahl gegeben in der letzten Nacht.“ Sie machte eine Pause um das allgemeine Raunen abklingen zu lassen.
Carola Pütz schlüpfte währenddessen in den Saal und nahm am nächsten Tisch Platz, wo sie einen freien Stuhl erspähte. Einen Diebstahl hatte es also gegeben. Im Jugendstilparadies. Schon war ihre Prognose hinfällig. Hatte sie doch erwartet, dass hier nichts Aufregendes passierte. Sie nickte den am Tisch sitzenden freundlich zu. Die nickten ebenso freundlich zurück.
Clara von Hohenstetten erhob wieder ihre Stimme. „Einer sehr verehrten, und langjährigen Freundin unseres Hauses wurde heute nacht ein
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