Verlorene Seelen - Carola Pütz erster Fall (Der neue Roman vom Autor der Oliver-Hell-Reihe)
wertvoller Ring gestohlen. Ich sehe es als meine Pflicht an, Sie darüber zu informieren, appelliere aber gleichsam auch an Ihr Vertrauen in uns, dass wir in der Lage sind, diese unangenehme Sache schnellstmöglich zu einem positiven Ende zu bringen.“
Erneutes Raunen im Saal. An der Hälfte der Tische wurden die Köpfe zusammengesteckt.
„Wie will sie das denn garantieren?“, fragte eine freundlich aussehende Dame, die mit Carola Pütz den Tisch teilte in die Runde. Sie schüttelte unmerklich ihren Kopf.
„Wissense wat, dat kannse gar nich“, antwortete der Mann, der Carola Pütz gegenüber saß, und an sie gewandt sagte er: „Sindse neu? Ich hab Se noch net gesehen hier. Ich bin der Erwin Krawuttke aus Gelsenkirchen.“
„Ja, ich bin eben angereist. Mein Name ist Carola Pütz. Ich grüße sie“, antwortete sie leise und beugte sich über den Tisch.
Direkt vor Doktor von Hohenstetten stand jemand auf. Es war die Industriellengattin, der der Ring gestohlen worden war. Sie sprach ohne Mikrofon, war aber trotzdem gut zu verstehen.
„Liebe Frau Doktor von Hohenstetten, ich danke Ihnen sehr für ihre Offenheit. Wie ich Ihnen ja schon persönlich mitgeteilt habe, hätte ich das nicht so an die große Glocke gehängt. Aber es ehrt sie. Vertrauen wir auf die Polizei und ihre gute Arbeit. Lassen sie uns nun essen, wir alle haben sicher Hunger.“ Sie nickte in die Runde und klatschte Frau Doktor Beifall.
Viele taten ihr gleich, einige standen aber auch sofort auf und gingen mit ihren Tellern zum Büfett, wo die Kellner bisher alle in Reih und Glied gewartet hatten.
Clara von Hohenstetten fühlte sich durch den plötzlichen Aufbruch übergangen, war aber auch froh, dass ihr Auftritt ein so schnelles Ende nahm.
„Sehr verehrte Frau Güstrow“, sagte sie, „Ich danke Ihnen für ihr Verständnis. Und ich wünsche Ihnen allen einen guten Appetit.“
Jetzt erst hoben die Kellner die Glocken von den Speisen. Es hätte sich keiner gewagt, es eine Sekunde früher tun.
„Habense dat gesehn, wie die dressierten Äffchen“, sagte Krawuttke leise über den Tisch.
Die nette Dame grinste und gab im Aufstehen Carola Pütz die Hand.
„Hallo Frau Pütz. Mein Name ist Friederike Schmitt-Wienand. Sie müssen wissen, wir, die schon etwas länger hier sind, schmunzeln ein wenig über das Regime von Frau Doktor von Hohenstetten. Sie behandelt ihre Angestellten wie ihre Leibeigenen. Aber das werden Sie auch noch feststellen. Achja, haben Sie schon ihren Speiseplan?“
„Nein“, sagte Carola Pütz.
„Na dann los. Dann gilt‘s noch. Dann dürfen Sie noch alles essen. Morgen ist das vorüber. Hier wird streng nach Plan gelebt.“
Frau Schmitt-Wienand nahm ihren Teller vom Tisch und machte eine aufmunternde Geste. Daran hatte Carola Pütz noch gar nicht gedacht. Eine Diät. Womöglich eine strenge Diät. Sie griff nach ihrem Teller und folgte ihrer Tischnachbarin zum Büfett.
Nachdem sie im Krankenhaus schon auf Diät gesetzt wurde und ihr Kühlschrank nach den vielen Wochen nur noch Ungenießbares enthielt, beschloss sie an diesem Abend, ihr Essen noch einmal so richtig zu genießen. Sie ging mehrfach Nachschlag holen, aß einen köstlichen Nachtisch, probierte einen weiteren. Als Krönung hätte sie gerne noch einen Kaffee getrunken, doch teilte man ihr mit, es gäbe nach dem Nachmittagskaffee keine geistigen Getränke mehr. Besonders Herr Krawuttke bedauerte das sehr.
„Dann musste abends noch in die Dorfkneipe eiern, um ein Bier zu trinken. Dat End vom Lied is, dat de Frau Doktor dat spätestens am nächsten Mittag schon wieder spitz hat“, sagte er mit ehrlichem Bedauern.
Sie unterhielt sich noch das ganze Abendessen lang mit ihren beiden Tischgenossen und erfuhr dabei so manches Detail über die Kurklinik ‚Sachsenglück'. So war dem Diebstahl höchstwahrscheinlich ein Stromausfall im ganzen Haus vorangegangen.
„Ich hatte noch en bisschen ferngesehen, als plötzlich der Strom weg war.“ Auf den Zimmern gab es keine Fernseher, doch hatte ihr Herr Krawuttke verraten, dass er heimlich einen kleinen DVBT-Fernseher eingeschmuggelt hatte.
„Gibt es hier öfter Stromausfälle?“, fragte Carola Pütz.
Krawuttke schaute zu Frau Schmitt-Wienand herüber. „Naja, wat heißt oft. Ich bin seit drei Wochen hier und dat war der zweite Ausfall. Der war aber besonders lang diesmal.“ Sie nickte.
„Der Hausmeister wohnt ja hier im Haus. Der ist dann sofort zur Stelle. Es sind ja auch die ganzen ärztlichen
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