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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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einen Blick auf ihre Armbanduhr geworfen hatte, stand sie vom Tisch auf. Sie hatte keine Zeit, über einen Bericht in der Zeitung nachzudenken. Sie mußte sich um ihre Patienten kümmern.

    Am schönsten sind die Städte an der Ostküste im Herbst.
    Der Sommer dörrt sie aus, der Winter macht sie öde und schmutzig, doch der Herbst verleiht ihnen Würde und übergießt sie mit Farben.
    An einem kühlen Oktobermorgen erwachte Ben Paris ganz plötzlich gegen zwei Uhr früh und stellte fest, daß er hellwach war. Es hatte keinen Sinn, darüber
    nachzudenken, was ihn aus dem Schlaf gerissen und seinen interessanten Traum, in dem drei Blondinen vorkamen, gestört hatte. Nachdem er aufgestanden war, ging er nackt zur Frisierkommode und suchte nach seinen Zigaretten. Zweiundzwanzig, zählte er im Geiste.
    Er zündete sich eine an und wartete, bis er den vertrauten bitteren Geschmack im Mund hatte, bevor er in die Küche ging, um Kaffee zu machen. Er schaltete nur die Neonröhre über dem Herd an und hielt Ausschau nach 12
    Schaben, die eilig in Ritzen huschten, doch es war nichts zu sehen. Während Ben die Flamme unter dem Kessel aufdrehte, dachte er bei sich, daß die Wirkung der letzten Vertilgungsaktion wohl noch anhielt. Als er nach einer Tasse langte, schob er die ungeöffnete Post von zwei Tagen zur Seite.
    Im grellen Küchenlicht sah sein Gesicht hart, beinahe gefährlich aus. Aber schließlich dachte er auch über Mord nach. Sein nackter Körper war schlaksig und von einer Magerkeit, die ohne die feinen Muskelstränge hager gewirkt hätte.
    Der Kaffee würde ihn nicht am Wiedereinschlafen hindern. Wenn sein Geist bereit war, würde sein Körper einfach seinem Beispiel folgen. Das hatte er bei endlosen Überwachungsaktionen gelernt.
    Eine magere sandfarbene Katze sprang auf den Tisch und starrte ihn an, während er seinen Kaffee trank und rauchte. Als sie bemerkte, daß er nicht reagierte, gab sie den Gedanken an einen frühmorgendlichen Imbiß auf und setzte sich hin, um sich zu putzen.
    Sie waren von der Ergreifung des Mörders noch genauso weit entfernt wie an jenem Nachmittag, als man die erste Leiche gefunden hatte. Wenn sie auf etwas gestoßen waren, das zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Anhaltspunkt hatte, dann war das Ganze im Sande verlaufen, sobald man angefangen hatte nachzuhaken.
    Eine Sackgasse, dachte Ben. Absolute Fehlanzeige.
    Natürlich hatte es allein in einem Monat fünf
    Geständnisse gegeben, die allesamt von kranken Gemütern stammten, die nach Aufmerksamkeit lechzten.
    Sechsundzwanzig Tage nach dem zweiten Mord waren sie noch keinen Schritt weiter. Und mit jedem Tag, der verging, wurde die Spur kälter, das wußte er. Die 13
    Berichterstattung in der Presse ließ nach, und die Leute beruhigten sich allmählich wieder. Das gefiel ihm nicht.
    Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Ben, während er sich am Stummel seiner Zigarette eine neue anzündete. Er blickte in die kühle, vom Halbmond erhellte Nacht hinaus und machte sich Gedanken.

    Doug’s war nur fünf Meilen von Bens Apartment entfernt.
    Jetzt war in dem kleinen Club alles dunkel. Die Musiker waren nach Hause gegangen, die Getränkepfützen aufgewischt. Francie Bowers trat aus der Tür des Hintereingangs und zog sich ihren Pullover an. Die Füße taten ihr weh. Nach sechs Stunden auf zehn Zentimeter hohen Absätzen – jetzt trug sie Turnschuhe – hatte sie Krämpfe in den Zehen. Doch das Trinkgeld war die Mühe wert gewesen. Mochte ja sein, daß man viel laufen mußte, wenn man als Cocktailkellnerin arbeitete, aber wenn man gute Beine hatte – und die hatte sie –, gab es auch reichlich Trinkgeld.
    Noch ein paar Nächte wie diese, überlegte sie, und sie würde vielleicht die erste Rate für den kleinen VW
    bezahlen können. Dann würde der ganze Ärger mit dem Bus wegfallen. Das war ihre Vorstellung vom Paradies.
    Ein stechender Schmerz in ihrem Spann ließ Francie zusammenzucken. Sie beäugte die Gasse, in der sie sich befand. Wenn sie hier entlangging, würde sie ihren Weg um eine Viertelmeile abkürzen. Aber die Gasse war dunkel. Sie machte zwei weitere Schritte in Richtung der hell erleuchteten Hauptstraße, dann gab sie es auf. Egal, wie dunkel die Gasse war, sie würde jedenfalls keinen Schritt mehr als nötig gehen.
    Er hatte lange gewartet. Aber er hatte es gewußt. Die STIMME hatte gesagt, daß eine der Verlorenen zu ihm 14
    geschickt werde. Sie kam rasch näher, als sei sie erpicht darauf, Erlösung zu finden.

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