Verlorene Seelen
Harris’ Büro konnten sie sehen, wie der Captain neben seinem Schreibtisch stand und telefonierte. Für einen Mann von siebenundfünfzig, der die letzten zehn Jahre hinter einem Schreibtisch verbracht hatte, hatte er sich gut gehalten.
Seine Willenskraft war zu groß, als daß er Fett angesetzt hätte. Seine erste Ehe war an seinem Beruf gescheitert, die zweite am Alkohol. Harris hatte Suff und Ehe aufgegeben, und das eine wie das andere ersetzte ihm jetzt sein Job.
Die Leute in seinem Dezernat mochten ihn nicht gerade, respektierten ihn jedoch. Diese Einstellung zog Harris vor.
Er blickte auf und winkte die beiden Männer ins Büro.
20
»Ich brauche den Laborbericht noch vor fünf. Wenn auf ihrem Pullover ein Fussel ist, will ich wissen, wo er herkommt. Macht euren Job und gebt mir etwas an die Hand, damit ich meinen machen kann.« Nachdem er aufgelegt hatte, ging er zu seiner Warmhalteplatte und goß sich einen Kaffee ein. Nach fünf Jahren wünschte er immer noch, es wäre Scotch. »Erzählt mir von Francie Bowers.«
»Sie arbeitete seit fast einem Jahr als Kellnerin bei Doug’s. Stammte aus Virginia und ist im November letzten Jahres nach Washington gezogen. Wohnte allein in einem Apartment im Nordwesten der Stadt.« Ed verlagerte sein Gewicht und blätterte in seinem Notizbuch. »Zweimal verheiratet, keine der beiden Ehen dauerte länger als ein Jahr. Die beiden Exgatten überprüfen wir noch. Sie hat nachts gearbeitet und tagsüber geschlafen, deshalb wissen ihre Nachbarn nicht viel von ihr. Um eins hatte sie Feierabend. Anscheinend ist sie durch die Gasse gegangen, um den Weg zur Bushaltestelle abzukürzen. Sie besaß kein Auto.«
»Niemand hat etwas gehört oder gesehen«, fügte Ben hinzu.
»Dann fragt noch mal rum«, sagte Harris ohne
Umschweife, »und macht jemanden ausfindig, der etwas gehört oder gesehen hat. Irgend etwas Neues zu Nummer eins?«
Ben mochte es nicht, wenn man Mordopfer numerierte, und steckte die Hände in die Taschen. »Carla Johnsons Freund lebt in L. A. Hat eine kleine Nebenrolle in einer Seifenoper. Hat nichts mit dem Mord zu tun.
Offensichtlich hatte sie am Tag vor ihrer Ermordung eine Auseinandersetzung mit einem anderen Schauspielschüler.
Augenzeugen zufolge ging es dabei ziemlich heiß her.«
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»Der Betreffende hat die Sache zugegeben«, fuhr Ed fort. »Offenbar haben sie sich ein paarmal verabredet, aber sie hatte kein Interesse an ihm.«
»Hat er ein Alibi?«
»Er behauptet, er habe sich vollaufen lassen und eine Erstsemesterstudentin aufgegabelt.« Ben zuckte die Achseln und setzte sich auf die Armlehne eines Stuhls.
»Jetzt sind sie verlobt. Wir können ihn noch mal vernehmen, aber keiner von uns glaubt, daß er etwas damit zu tun hat. Einen Zusammenhang zwischen ihm und der Clayton oder der Bowers gibt es nicht. Als wir ihn überprüften, haben wir festgestellt, daß er ein typischer amerikanischer Junge aus dem gehobenen Mittelstand ist.
Ein As in Leichtathletik. Eher ließe sich von Ed annehmen, daß er ein Psychotiker ist als von diesem Collegestudenten.«
»Vielen herzlichen Dank, Partner.«
»Überprüft ihn trotzdem noch mal. Wie heißt er?«
»Robert Lawrence Dors. Er fährt einen Honda Civic und trägt Polohemden.« Ben zog eine Zigarette aus der Schachtel. »Außerdem weiße Turnschuhe und keine Socken.«
»Roderick kann ihn sich vornehmen.«
»Moment mal …«
»Ich werde eine Sondereinheit für diese Angelegenheit aufstellen«, sagte Harris und schnitt Ben das Wort ab. Er schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. »Roderick, Lowenstein und Bigsby werden mit euch
zusammenarbeiten. Ich will diesen Burschen schnappen, bevor er wieder eine Frau umbringt, die nachts allein unterwegs ist.« Der Ton seiner Stimme war mild, vernünftig und entschieden.
22
»Haben Sie irgend etwas dagegen einzuwenden?«
Ben stolzierte zum Fenster und starrte hinaus. Seine Gefühle waren rein persönlich, das wußte er. »Nein, wir alle wollen ihn schnappen.«
»Einschließlich des Bürgermeisters«, fügte Harris mit einem leichten Anflug von Bitterkeit in der Stimme hinzu.
»Er möchte in der Lage sein, der Presse am Ende der Woche etwas Konkretes mitzuteilen. Wir ziehen einen Psychiater hinzu, der uns ein Täterprofil erstellt.«
»Einen Seelenklempner?« Humorlos lachend drehte Ben sich um. »Machen Sie keine Witze, Captain.«
Da Harris die Sache auch nicht gefiel, wurde seine Stimme eisig. »Dr.
Court hat sich auf Wunsch des
Bürgermeisters
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