Verlorene Träume (Windham-Reihe, Band 3) (German Edition)
verlockend.
Gekonnt setzte sie über Baumstämme und aus der Erde ragende Wurzeln hinweg und genoss das Gefühl, den kraftvollen Pferdeleib zwischen ihren bloßen Schenkeln zu spüren. Rose wusste, dass ihre unbeschwerte Zeit vorbei war, aber tief in ihrem Herzen wollte sie dies nicht wahrhaben. Sie hatte Angst, die Rückkehr nach London bedeute das Ende ihrer Freiheit und sie sah sich schon in einer lieblosen, arrangierten Ehe enden.
Diese Flucht vor ihrem Vater war – und das wusste Rose nur zu genau – ein letztes, wenig hilfreiches Aufbegehren gegen die Regeln der vornehmen Gesellschaft, zu der sie nun wieder gehörte. Ein schwacher Versuch, dieses unbeschreibliche Gefühl der Freiheit zu bewahren. Und sei es auch nur für diese kurze Zeit auf dem Rücken des Pferdes.
Sie presste ihre Ferse in die Flanke des Tieres, um es noch weiter anzutreiben. Der Wind riss an ihrem Haar und erinnerte sie an die salzige Meeresbrise in Italien. Vielleicht hatte ihr Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung sie zu Lorenzo geführt, überlegte sie. Lorenzo, der Zauberer der Worte, der Dichter ihres Herzens, der Mann, der ihr die Welt auf eine ganz neue Art gezeigt hatte. Seine Muse nannte er sie, als er einen romantischen Vers nach dem anderen verfasste, nur, um die Seiten von der Mauer der Casa Moretti, welche direkt in die Klippen gebaut war, ins Meer hinabgleiten zu lassen. Der schlanke, feingliedrige Lorenzo, dessen verklärter Blick Rose immer glauben ließ, er lebe in einer eigenen Welt – einer Welt, in der es nur Schönheit und Liebe gab –, schrieb sich mit seiner Feder in ihr Herz. Sie konnte sich keinen passenderen Mann als ihn vorstellen, denn es lag nicht in seiner Natur, jemandem seinen Willen aufzudrängen, seine Meinung durchzusetzen oder gar jemandes Freiheit zu beschneiden.
Aber als sie ihrem Vater von ihrer Absicht, Lorenzo zu heiraten, berichtete, hatte er sich schlicht geweigert, ihren Wünschen entgegenzukommen und sie stattdessen direkt zurück nach England geschleppt.
Sie kam sich vor, als sei sie einem wunderbaren Traum entrissen worden – nur ihr Herz war nicht mit ihr erwacht. Es war noch immer in Italien und hoffte auf Lorenzos Liebe.
Aber gab es für sie überhaupt eine Möglichkeit auf wahre Liebe? Eine Chance auf Glück? Oder stand dem die alte Familienlegende im Weg?
Danach konnten die Windham-Männer nicht lieben, die Windham-Frauen hingegen liebten angeblich so sehr, dass sie daran zugrunde gingen. Seit Generationen haftete ihrer Familie diese Geschichte an. Sollte dies nun auch ihr Schicksal sein?
Die Hochzeit ihres Bruders Devlin mit der Witwe Danielle Langston vor wenigen Tagen war demnach ein Wunder und stand in einem schönen Widerspruch zu dieser Geschichte, aufgrund der Devlin eigentlich nie hatte heiraten wollen. Alle waren überzeugt, dass erst der Fund eines magischen Gemäldes ihm das Glück beschert hatte.
Und vielleicht, so überlegte Rose, irrten alle, die an diese alten Mysterien glaubten, denn auch ihr Bruder Dean hatte im letzten Jahr sein Herz verschenkt. Auch wenn bei Amelie und ihm zuerst alles danach aussah, als würde ihre Geschichte dem Ruf der Legende gerecht werden.
War es also an ihr, den Fluch der Windhams zu spüren?
Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzudrängen, als ein harter Schlag sie aus dem Sattel riss.
Schmerz.
Es gab nichts außer diesem erstickenden Gefühl.
Minuten vergingen, ehe Rose die Kraft aufbrachte, die Augen zu öffnen. Die raue Rinde und saftiges Moos am Fuß eines Baumstammes waren alles, was sie erkennen konnte. Jeder Atemzug verursachte ihr Schmerzen. Warum war das so? Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was geschehen war, aber der pochende Schmerz über ihrem Ohr verhinderte jeden klaren Gedanken. Ameisen wanderten den Stamm hinauf, und Rose blinzelte. Sie wollte sich bewegen, aber ihr Körper verweigerte ihr den Dienst. Sie wusste, sie müsste eigentlich Angst haben, aber selbst dafür war sie zu schwach. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. Müde schloss Rose die Augen.
Eine ganze Zeit später drang das Rascheln von Blättern in ihr Bewusstsein. Der Baumstamm war noch immer da, und irgendwie fand Rose das tröstlich. Wieder raschelte es, und sie bewegte leicht den Kopf, um sich umzusehen. Sie zuckte schon bei der ersten Bewegung zusammen, aber, als es ihr tatsächlich gelang, sich ein wenig aufzusetzen, hätte sie am liebsten gejubelt. Zwar drehte sich die Welt um sie herum, aber wenigstens konnte sie
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