Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Barat.
    Rücken an Rücken erwarteten sie die nächste Attacke. Aber sie hatten sich wohl Respekt verschafft, oder die Räuber suchten sich lediglich ein weniger wehrhaftes Opfer. Immer noch waren überall die tanzenden Lichtpunkte zu sehen, die wie Glühwürmchen über den Höhlenboden schwebten. Doch als sich ihre Augen immer mehr an die Dunkelheit gewöhnten, erkannten sie, dass es sich tatsächlich um Kerzen handelte, die in einem merkwürdigen Gestell an Stirnreifen um den Kopf getragen wurden. Nicht alle Angreifer waren mit diesen Bergmannsleuchten ausgestattet, wobei sich bei denjenigen mit Stirnlampe mittlerweile auch die Gesichter erkennen ließen. Schmutzige, unrasierte, magere Gesichter waren es, mit harten, hoffnungsleeren Augen.
    Während sich die makabere Plünderung der Neuankömmlinge, denen hier buchstäblich das letzte Hemd geraubt wurde, noch einige Minuten hinzog, war der Transportkorb schon längst an seinen lichten Ausgangspunkt hoch über ihren Köpfen zurückgekehrt. Als schließlich an einem Ende der Höhle zwei lodernde Fackeln auftauchten, flohen die huschenden Gestalten mit ihren mageren Beutestücken in die Dunkelheit, als würden sie das nahende Licht scheuen.
    Indes war es nicht die Helligkeit, die sie fürchteten. Von dem Fackelschein in ein dämonisches Schattenspiel gehüllt, tauchte jetzt ein hünenhaftes Wesen in ihrer Mitte auf, das zunächst so wenig Menschliches an sich zu haben schien wie ein ungeschlachter Felsbrocken. Die stöhnenden oder sogar in Tränen aufgelösten Sklaven waren noch dabei, den ersten Schrecken dieses erbarmungslosen Ortes zu verdauen, als die tiefe Stimme des Riesen den Höhlengrund erzittern ließ wie ein Donnerschlag:
    »Ich bin Ulag! Euer Leben gehört jetzt mir!«
    Jedes andere Geräusch war erstorben. Mit vor Schreck geweiteten Augen starrten alle den breitschultrigen Koloss an, der von zwei fackeltragenden Dienern flankiert wurde. Sein Haupt war von wild abstehenden Zotteln überwuchert, die unentwirrbar mit dem verfilzten Vollbart zu einer einzigen Mähne verschmolzen waren. Auch seinen nackten Oberkörper bedeckten dunkle Haare in solcher Dichte, dass es im ersten Moment schien, als trage er ein Fell. Trotzdem zeichneten sich unter der übermäßigen Körperbehaarung an Oberarmen, Brust und Schultern noch knotige Muskeln ab, was auf die entsetzliche Kraft schließen ließ, die dem viehischen Giganten zu Gebote stand. Aber das Schlimmste waren seine Augen. Ohne jede Tiefe, kleinen Kohlestücken gleich, steckten sie in seinem haarigen Gesicht mit nichts als dem Ausdruck von dumpfer Brutalität darin.
    »Steht auf!«, dröhnte sein rauer Bass durch die Höhle. »In einer Reihe aufstellen!«
    Hektisch bemühten sich die Gefangenen, dem Befehl des Furcht einflößenden Mannes nachzukommen. Teilweise versuchten die Menschen, beim Aufstehen ihre Blöße zu verbergen, da ihnen die Plünderer oft nichts gelassen hatten außer der Haut über ihren Knochen. So standen sie nur Augenblicke später in einer langen Reihe, manche nur noch in Fetzen gehüllt, viele auch ganz nackt und alle mit zitternden Knien. In eifriger Ergebenheit leuchteten die Fackelträger ihrem Herrn, als der Hüne nun damit begann, die neuen Sklaven in Augenschein zu nehmen. Allerdings schien er sich kaum für die Männer zu interessieren, seine ganze Aufmerksamkeit galt den jungen Frauen der Gruppe. Diejenigen, denen noch ein bisschen Stoff geblieben war, versuchten es verzweifelt um ihren Körper zu schlingen, um möglichst viel vor seinen gierigen Augen zu verbergen. Aber der zottige Ulag schien durchaus wählerisch zu sein, denn lange fand keine der Frauen sein Gefallen. Als er noch etwa fünf Schritt von Barat und Rai entfernt war, blieb er erneut bei einem Mädchen stehen, das höchstens in Rais Alter sein konnte. Wäre ihr Körper nicht so ausgezehrt und schmutzig gewesen, man hätte sie als Schönheit bezeichnen können. Schamhaft senkte sich ihr Blick, als sie nun vollkommen bloß vor dem riesigen Unhold stand.
    Ulag leckte sich die Lippen. Seine schaufelartigen Hände packten ihre Handgelenke und zwangen sie nach oben. Das wimmernde Mädchen begann sich verzweifelt zu winden, doch der Hüne war um so vieles größer als sie, dass er ihren zarten Körper einfach mit einer Hand in die Luft hob. Die Kleine zappelte wie ein Fisch am Haken, während Ulag sie einer eingehenden Begutachtung unterzog. Bosheit troff aus seinen kohleschwarzen Augen.
    Rai hatte genug gesehen. Er überlegte