Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
alles nicht, um dir Angst zu machen, sondern nur damit du dich darauf einstellen kannst, was uns erwartet.« Barat blickte mitleidig auf Rai hinunter.
Dieser schwieg eine ganze Weile erschüttert, bis seine Aufmerksamkeit plötzlich auf etwas anderes gezogen wurde. Er stieß Barat mit dem Ellbogen an und raunte ihm zu: »Schau mal, da vorne verhandelt Ferrag gerade mit einem Gardisten! Er hält das schwarze Schwert in der Hand!«
Barat sah sich um und entdeckte tatsächlich den Hundeführer im Zwiegespräch mit einem Soldaten, dessen rote Schärpe ihn als Offizier auswies. Ferrag redete eindringlich auf sein Gegenüber ein, der die dunkle Klinge abwägend musterte, so als wäre er sich noch nicht im Klaren über ihren Wert. Aus dieser Entfernung konnten die Beobachter lediglich anhand von Gesten und Mimik der Gesprächspartner über deren Absichten spekulieren, aber es war dennoch offensichtlich, dass der Einarmige das Schwert an den Offizier verkaufen wollte. Schließlich vollführte dieser einige Probeschwünge, was ihm ein anerkennendes Kopfnicken entlockte. Ferrag nutzte diese Zufriedenheit des Gardisten sogleich aus, um ihm eine Angebot zu unterbreiten, indem er alle fünf Finger seiner verbliebenen Hand in die Höhe streckte. Dies wurde jedoch von einem entschiedenen Kopfschütteln des Gardisten beantwortet, was eine kurze, aber heftige Diskussion nach sich zog. Letztendlich zählte der Soldat dem Hundeführer drei Goldstücke in die offene Hand und erhielt dafür das Schwert. Beide Verhandlungspartner machten zufriedene Gesichter, als sie sich trennten.
»Das Schwein hat unser Schwert verkauft, Barat!« Rai klang verzweifelt.
»Tja, und er scheint dafür das Dreifache unseres Preises bekommen zu haben.« Barat seufzte schicksalsergeben, denn er begriff, wie wenig ein Menschenleben auf dieser Insel wert war. »Aber vielleicht ist es ganz gut so, mein junger Leidensgenosse, denn wirklich geheuer war mir diese Klinge nicht. Und das Pech klebte daran wie Honig im Bart!« Er spuckte wütend auf das Pflaster. »Aber immerhin scheint hier weder uns noch die Klinge irgendwer zu suchen, denn nicht einmal der Gardist hat das schwarze Schwert erkannt, als er es in Händen hielt.«
»Und was für einen Unterschied macht das?«, fragte Rai missmutig. »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, man braucht hier kein Verbrechen begangen zu haben, um den Rest seines Lebens in Ketten zu verbringen!«
Barat schwieg betroffen.
Es dauerte noch etwa eine halbe Stunde, bis der Sklavenzug abmarschbereit war. Mindestens fünfzig Sklaven waren zusammengetrieben und in einer langen Zweierreihe aufgestellt worden. Diese militärische Ordnung stand in geradezu lachhaftem Gegensatz zu den verwahrlosten Gestalten, aus denen sich der Trupp zusammensetzte. Der Offizier mit der roten Schärpe und dem neu erworbenen schwarzen Schwert in der Scheide nahm seine Position an der Spitze der erbärmlichen Schar ein, während jeweils zehn Gardisten zu beiden Seiten die Flanken sicherten. Es mutete ein wenig wunderlich an, dass so viele Bewaffnete zum Bewachen von ein paar geschwächten Erwachsenen und einem ganzen Tross halb verhungerter Kinder nötig waren. Aber als sich der Trupp in Bewegung setzte, hatten Barat und Rai zu viel damit zu tun, nicht durch das Zerren und Taumeln der anderen Mitgefangenen das Gleichgewicht zu verlieren, als dass sie sich über derartige Nebensächlichkeiten weiter Gedanken hätten machen können. Die Fortbewegung als ein einziges zusammengeschmiedetes Wesen mit fünfzig individuellen Beinpaaren erwies sich als unerwartet schwierig, denn jedes Mal, wenn ein Fuß strauchelte, drohte der ganze Zug zu fallen. Doch zwangsläufig ergab sich schließlich eine Art Gleichschritt, was in einem merkwürdig rhythmischen Klirren mündete, das sie den gesamten Weg über begleiten sollte.
Vom Hafen aus folgten sie einer serpentinenreichen Straße den treppenartig ansteigenden Hang hinauf, bis sie schließlich das letzte der geduckten schwarzen Häuser der Stadt hinter sich zurückgelassen hatten. Der Pfad wand sich weiter die Basaltfelsen empor und wurde mit jedem Schritt steiler. Quälend langsam schleppte sich der Zug voran. Bald schon waren sie vollkommen durchnässt, denn der kalte Wind trieb einen Schleier feiner Regentropfen gegen den Berg, die sich auf der Haut zu eisigen Rinnsalen vereinten und unbarmherzig unter der Kleidung bis in die Schuhe hinabliefen. Endlich gelangten sie auf einen breiteren Weg, der weniger
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