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Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm

Titel: Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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durch einen gewagten Sprung zu überwinden war. Für Rai stellte ein Satz von drei Schritt eigentlich eine Kleinigkeit dar, denn bei so mancher berufsbedingter Flucht über die Dächer der Großstadt hatte er schon vier Schritt und mehr übersprungen. Auch in solch heiklen Situationen hätte er sich bei einem Fehltritt eine lange Fallstrecke später auf dem Kopfsteinpflaster wieder gefunden, was wahrscheinlich mindestens so unangenehm gewesen wäre, wie in diesen finsteren Felsenschlund zu stürzen.
    Magenschmerzen verursachte ihm jedoch vor allem die schmale und unebene Landefläche, denn das Sims erforderte schon bei achtsamer Fortbewegung eine gewisse Trittsicherheit. Er müsste schon sein ganzes Geschick aufbieten, um diese akrobatische Höchstleistung zu vollbringen. Aber schließlich hatte es der unbekannte Arbeiter in dem erleuchteten Stollen ebenfalls irgendwie geschafft. Diese Überlegung beflügelte Rais Neugier ebenso sehr wie seinen Ehrgeiz. Wenn es bereits jemandem geglückt war, diese Kluft zu überspringen, dann musste es einem erprobten Fassadenkletterer wie ihm erst recht gelingen. Einen weiteren Grund brauchte er nicht.
    Sorgfältig maß er den Anlauf ab, den er benötigte, und besah sich – so gut wie eben im kärglichen Schein seiner Kerze möglich – die Landestelle. Dabei fiel ihm siedend heiß ein, dass er sein Licht unmöglich während des Sprungs in der Hand halten konnte, ohne zu riskieren, dass es verlosch. Die kleine Flamme war mittlerweile zu einem so stetigen Begleiter geworden, dass er sich gar nicht mehr vorstellen konnte, etwas ohne ihr treues Leuchten zu unternehmen. Trotzdem entschied er sich nach reiflicher Überlegung dafür, sie im Schutz des diesseitigen Stolleneingangs zurückzulassen, da der andere Gang ohnehin beleuchtet war. Dann konzentrierte er sich noch einmal kurz, nahm drei Schritte Anlauf – und sprang.
    In dem Augenblick, als seine Füße den Boden verließen, durchfuhr ihn jäher Zweifel. Hatte er den Abstand richtig eingeschätzt? Einen winzigen bangen Moment lang schien der Felsvorsprung zu weit entfernt. Doch unmittelbar darauf landete er sicher an exakt der beabsichtigten Stelle. Ein paar Steine kollerten in die Tiefe, aber ansonsten gab es nichts an seinem Sprung auszusetzen. Rai war zufrieden.
    Lässig balancierte er das Sims entlang bis zum Stolleneingang, wo er endlich herauszufinden hoffte, wer an solch einer schwer zugänglichen Stelle Erz schürfte. In seiner Selbstgefälligkeit fiel ihm unglücklicherweise zu spät auf, dass das Hämmern, welches ihn bis hierher gelockt hatte, auf einmal verstummt war. Gerade als er einen vorsichtigen Blick in den erleuchteten Gang werfen wollte, packte ihn etwas am Kragen und riss ihn von den Füßen. Ehe er es sich versah, hing er mit seinem gesamten Oberkörper, Gesicht voran, über der Schwärze des Abgrunds, während eine eiserne Hand seinen linken Fußknöchel umschloss.
    Rai begann zu zappeln. Er konnte nicht erkennen, wer oder was ihn da gepackt hielt. »Hör … auf …«, stammelte er panisch, »ich war doch nur … neugierig, ich wollte nichts stehlen!« Dies war eine der meistgebrauchten Ausreden in seiner Zeit als Langfinger gewesen, aber am heutigen Tag traf die Erklärung ausnahmsweise zu. »Ich verschwinde auch gleich wieder, ich wollte nur sehen, wer hier schürft, und ich habe das Hämmern gehört und wollte mal nachsehen, wer da ist, und niemand hat mir gesagt, dass es verboten ist hierherzukommen, und bitte lass mich nicht fallen!«
    Auf diesen Redeschwall des jungen Diebes folgte jedoch nichts außer einem ausgedehnten Schweigen. Rai versuchte verzweifelt, seine Finger in den Fels zu krallen, um sich wieder auf das Sims hochziehen zu können. Sein linkes Bein saß noch immer im Griff des Unbekannten fest wie in einem Schraubstock, während das rechte über den Höhlenboden scharrte auf der Suche nach Halt.
    »Hör zu«, versuchte es Rai noch einmal etwas ruhiger, »wenn du willst, kannst du meine Kerze haben, sie steht auf der anderen Seite der Kluft und ist gut und gerne noch eine halbe Tagesration wert.« Dies war eine glatte Lüge, aber schließlich steckte Rai nicht das erste Mal in so einer Zwangslage. Man musste in solchen Fällen schon ein wenig kreativ sein und unangenehme Wahrheiten den Umständen entsprechend aufpolieren. Gleichwohl blieb eine Antwort aus.
    »Ich glaube nicht, dass du mich töten willst«, begann Rai behutsam, »sonst hättest du schon mein Bein losgelassen. Du bist klug,

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