Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
des Tores, wie es Estol gerade getan hatte, das verabredete Zeichen für seine Verbündeten, in die Schule einzudringen, und es gab momentan nichts, womit er dies verhindern konnte. Wenn er versuchen würde, ihnen ein Zeichen zu geben, könnte es womöglich die Aufmerksamkeit von Maralon, Arton oder Arden erregen. Außerdem würden die Assassinen ihn auf dem Wehrgang wahrscheinlich ohnehin nicht sehen, sodass er nun einfach abwarten musste. Vorsichtig beugte er sich nach vorn, um besser überblicken zu können, was vor den Mauern geschah. Dabei nahm er die Klinge nicht von Taranas Kehle. Einige Augenblicke hörte Megas nichts außer seinem eigenen Herzschlag. Dann rannten plötzlich hintereinander zwanzig geduckte, in dunkle Gewänder gehüllte Gestalten über den erleuchteten Platz zum Tor der Schule. Die ersten drei waren mit langen Bogen bewaffnet. Alle, außer den Bogenschützen, trugen riesige, sperrige Bündel auf dem Rücken, die sich bei näherem Hinsehen als eng gepackte Stapel aus schwärzlichem Holz entpuppten. Der Letzte der Gruppe trug Estols Leichnam über der Schulter.
Das Ganze ging so schnell und lautlos vonstatten, als wäre es ein einstudiertes Schaustück am königlichen Hof. Megas entfuhr ein anerkennender Pfiff, denn wenn er etwas achtete, dann war es Perfektion. Die schattenhaften Gestalten hatten sich nun alle direkt unter ihm auf dem Torweg versammelt. Ein erneutes Schaben verriet, dass sie das Tor von innen verriegelten.
Mit einem trällernden Pfiff machte Megas auf sich aufmerksam. Er konnte nur mutmaßen, dass sie ihn nun alle anblickten und womöglich auch einige Waffen auf ihn gerichtet hatten. Wirklich erkennen konnte man im Schatten der Mauer weder ihre Gesichter noch die Langbogen oder irgendwelche Klingen. Megas stieg die schmale Treppe vom Wehrgang hinab, was ihn einige Mühe kostete, da Tarana wie ein nasser Mehlsack in seinen Armen hing.
.Warum hab ich sie nicht getötet?’, dachte er ärgerlich. ›Dann müsste ich diese jämmerliche Nomadenschlampe jetzt nicht mit mir herumschleifen. Aber wer weiß, vielleicht brauche ich sie noch.‹
»Ihr seid zu früh!«, zischte Megas, als er sich inmitten der dunklen Gestalten befand.
»Das Tor ging auf, das war das verabredete Zeichen«, flüsterte es aus der Dunkelheit zurück. Megas versuchte zu ergründen, welcher der Schatten zu ihm sprach. »Keinen rauskommen lassen, kein Geräusch und eindringen, wenn sich das Tor öffnet«, fuhr die gesichtslose Stimme fort, »alles Weitere war deine Aufgabe!«
»Schon gut«, erwiderte Megas. »Wir müssen jedoch so lange warten, bis die beiden jungen Erenor aus dem Haus kommen, sonst gefährden wir den Plan. Im Haus wäre es zu schwer, sie zu überwältigen.«
»Was ist mit ihr?«, fragte der Assassine.
»Das Weibsbild? Sie wird unsere Verhandlungsposition verbessern, falls es nötig sein wird.« Megas lächelte und strich Tarana mit dem Dolch übers Gesicht. Er genoss seine Überlegenheit, denn er war jahrelang in der Schule nur verspottet worden. Dies hatte natürlich zu seiner Tarnung gehört, dennoch befriedigte Taranas ängstliche Ergebenheit seine so lange unterdrückten Rachegelüste. Diese Überheblichkeit machte ihn jedoch unvorsichtig. Als seine Hand direkt vor Taranas Mund war, biss sie plötzlich zu. Ihre Zähne bohrten sich tief in seinen Handrücken. Ein nur halb erstickter Schrei entfuhr Megas. Der Dolch fiel zu Boden, und er ließ sein Gefangene los.
In der jungen Istanoit begannen die Instinkte der Steppe die Oberhand zu gewinnen. Die Trauer um den Verlust ihrer Freundin vernebelte ihr nicht weiter die Sinne. Der erste angreifende Schatten ging durch einen wohlgezielten Tritt zwischen die Beine zu Boden. Ein stählerner Griff umfasste ihr Handgelenk. Mit großer Kraft wurde ihr Arm nach hinten gedreht. Sie ließ sich zu Boden fallen und schlug aus wie ein bockendes Maultier. Ein paar Mal fand ihr Fuß eine weiche Magengrube.
›Ich muss entkommen!‹, dachte sie und schlug noch fester zu.
Ein Stiefel trat nach ihrem Gesicht. Doch ihr Kopf war schon hochgeschnellt. Sie warf sich herum und wollte aufspringen. Ein Arm legte sich wie ein muskulöser Baumstamm um ihren Hals und drückte mit erbarmungsloser Gewalt zu. Sie zappelte und wand sich, schlug blindlings nach hinten, aber es nützte nichts. Das Blut pochte gegen ihre Schläfen. Ihr Kopf drohte zu zerplatzen. ›Ich muss die anderen warnen! Ich muss sie warnen!‹ Ihr Bewusstsein verengte sich auf diesen einen
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