Vermächtnis der Sünder: Die Kinder des Einen (German Edition)
um sicherzugehen, dass alles und jeder schlief.
Die Halle der Anbetung war still und düster. Fahles Licht des Mondes drang durch die hohen Fenster herein.
Lautlos, verdeckt durch die Schatten der Säulen, pirschte er vorsichtig zu der rundlichen Nische. Regale verdeckten die Maueraussparung weitgehend und verwehrten den direkten Blick darauf. »Vergebt mir, oh Schöpfergott«, murmelte er, bevor er sich an dem Schloss zu schaffen machte.
Es war komplizierter als gedacht. Fieberhaft versuchte er, mit dem Dietrich die richtige Position ausfindig zu machen. Jederzeit konnte er entdeckt werden.
»Vielleicht hat der göttliche Schöpfer mich genau aus diesem Grund hergeführt«, murmelte er, während er verbissen an dem widerspenstigen Teil herumhantierte. Wie zur Antwort knackte es im Innern des Schlosses. Mit einem leisen Knirschen öffnete sich die kleine Tür.
Er war gerade im Begriff, durch den Spalt zu huschen, als sich die Hauptpforte geräuschvoll öffnete. Schwere Schritte von mehreren Stiefeln hallten durch die Halle und störten die Ruhe. Lutek hielt den Atem an und schlüpfte vollends durch die Tür. Von innen drückte er die kleine Pforte zu. »Verdammt«, stieß er leise aus. »Das fehlt mir gerade noch.«
Er folgte den Stufen, die hinab führten, und hoffte, dass es einen anderen Ausgang gab. Ansonsten saß er in der Falle. Wie ein Fuchs im Bau.
Aus der Halle oberhalb wurde Stimmengewirr laut. Er meinte, die der Ehrwürdigen und die des Bibliothekars herauszuhören. Offenbar diskutierten die beiden lautstark mit den Neuankömmlingen.
Lutek zündete die Kerze an, die er sich in weiser Voraussicht eingesteckt hatte. Die Flamme vor sich haltend, stieg er weiter die Stufen hinab. Sie führten zu einem Gang. Es gab bis dahin keine einzige Abzweigung, stellte er zerknirscht fest, während er tiefer hinabging.
Das kleine Licht spendete nicht viel Helligkeit. Hinter ihm war es stockfinster und vor ihm ebenfalls. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, in der er den Tunnel entlanglief. In Wahrheit war er nur wenige Schritte unterhalb der Oberfläche. Überrascht blieb er plötzlich stehen.
Ein breites Gewölbe tat sich vor ihm auf. »Eine Krypta«, flüsterte Lutek andächtig.
In Stein gehauenen Nischen lagen die Gebeine der Ehrwürdigen, die hier ihr Leben verbrachten und starben. Lutek trat näher heran.
In einigen dieser Grabkammern sahen die Knochen spröde und vermodert aus. Sie mussten schon Hunderte von Jahren hier liegen.
Er schritt ehrfürchtig daran vorbei, als er ein leises Wispern vernahm. Lutek hielt seinen Kopf schief. Er meinte Worte daraus zu hören, verstand jedoch nichts. Ihm gegenüber gewahr er zwei Regalreihen Folianten. Es mussten die besagten fehlenden Bände sein, vermutete er.
Bevor der rothaarige, junge Mann einen Schritt auf die Bücher zumachen konnte, ertönte von oben ein dumpfer Schrei herunter, der einen Lidschlag später abrupt abbrach. Luteks Augen weiteten sich vor Schreck. Er benötigte ein Versteck, und zwar sofort.
Nach einer Möglichkeit Ausschau haltend, warf er gehetzt erneut einen Blick zu den Folianten. Es war ihm, als ob sich das Wispern verstärkte. Es zog in unweigerlich hin und er folgte der leisen Stimme. Er schüttelte seinen Rotschopf. Was sollte das? Er musste sich beeilen und endlich ein Versteck finden. Je näher er dem Regal kam, um so stärker wurde das Wispern. Ein einzelnes Buch, ohne Titel auf dem Einschlag aber einem Symbol, das entfernt an eine Blume erinnerte, lag vor ihm.
Schritte ertönten. Dann völlige Stille.
Das Buch an sich drückend, löschte Lutek die Flamme der Kerze. Dicht drückte er sich an die felsige Wand der Krypta.
»Lutek?«, rief eine männliche Stimme durch das Gewölbe.
»Ich weiß, dass ihr hier unten seid. Ihr solltet besser hervorkommen.«
Unmöglich! Niemand kannte seinen wahren Namen. Wer konnte wissen, dass er hier ist? Er hatte sich doch verdeckt gehalten. Angestrengt dachte er nach, als ihm unwillkürlich jemand eine Hand auf seine Schulter legte.
Wie unter einem Schlag zuckte er augenblicklich zusammen. Den kleinen Dolch unter seinem Gewand hervorziehend, wirbelte er herum. Bevor er zustechen konnte, wurde sein Handgelenk kraftvoll gepackt.
»Kommt mit mir!«, zischte die Gestalt.
»Wer seid ihr?«, fragte Lutek misstrauisch.
»Meister Tacio schickt mich! Kommt ihr nun oder wollt ihr deren Bekanntschaft machen.« Ihr Kopf bewegte sich zeigend zum Eingang hin.
Lutek wusste von Tacio, der eine nicht unwichtige Figur in der
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