Vermächtnis der Sünder: Die Kinder des Einen (German Edition)
klingt für mich wie eine Passage aus einer Gebetslitanei«, spottete Celena. »Pflichten? Ich habe nur eine Pflicht!«
Wilnas Züge nahmen einen traurigen Ausdruck an.
»Euch hat die Liebe geblendet, Kind«, sprach sie, wohl wissend, worauf Celena mit ihrer einzigen Pflicht anspielte.
»Nein, sie hat mich nicht geblendet«, flüsterte die Kriegerin und machte einen Schritt auf die andern zu. »Die Liebe hat mir die Augen geöffnet«, hauchte sie ihnen entgegen.
Sie ging an ihnen vorbei zu dem runden Tisch und schlug Thiamets Buch auf. Schnell fand sie die von ihr markierte Seite und las vor:
»… und es werden dem Schöpfergott Kinder geboren. Kinder, die er mit und durch die Hilfe von Leihvätern zeugte …«
Bis auf das Prasseln im Kamin herrschte kurzweilig völlige Stille im Raum. Wilna und Belothar unterbrachen sie gemeinsam mit einem ungläubigen »Was?«
Mit zitternder Hand deutete Celena auf Terzios.
»Er weiß, wovon ich spreche!«
Voller Bitterkeit schlug sie das Buch zu.
»Die Macht, die wir durch das Blut erhalten, ist wert zu schützen? Nur aus dem Grund, weil einige unseres Ordens um dieses Geheimnis wissen, und fürchten sie zu verlieren. Niemals wurde der Versuch unternommen, diese Kinder zu finden. Man strebte lieber dem Vorgegebenen entgegen. Dabei entfernten sie sich mehr und mehr dem Ziel, je mehr sie darum kämpften, es zu erreichen. Es war besser so. Denn was, wenn die Kinder gefunden wurden. Sie würden eines Tages überflüssig werden. Es konnte und durfte nicht sein, dass sie ihrer Macht beraubt wurden. Nicht in der Vergangenheit, nicht heute und nicht in der Zukunft.«
»Wenn das alles wahr ist, und wir eines Tages überflüssig sind, das wäre ausgesprochen gut!«, stellte Belothar fest. In seinem Gesicht stand noch immer der Unglauben über das von Celena vorgelesene.
»Nicht für die, die mit allen Mitteln ihre Macht beibehalten oder sogar erweitern wollen. Adelus ist einer von ihnen. Und er ist nicht der Einzige unter den Hütern, der dieses Ziel verfolgt. Erinnert euch, die San-Hüter stehen außerhalb jedes Gesetzes. Sie können überall schalten und walten, wie sie wollen. Wird man ihnen überdrüssig, verjagt man sie. Doch sie kommen wieder, weil sie sich selbst für eine Notwendigkeit halten. Weil es für sie nur dieses eine Ziel gibt. Mit allen Mitteln den Sieg herbeiführen. Die Mittel aber könnten anderweitig eingesetzt werden. Zugegeben, es würde viel Zeit ins Land gehen, bis sich etwas ändert. Zeit, welche die San-Hüter wiederum nicht haben. Und so stecken sie in einem sich stets wiederholenden Kreislauf, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.« Celena pochte mit den Knöcheln ihrer Faust auf den schwarzen Buchumschlag. »Nun die Frage steht im Raum. Was tun? Sollen wir blind und pflichtbewusst den Weg des Aufrechten weitergehen, weil wir es nicht besser wissen? Oder sollen die Wissenden, mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, den Plan des Schöpfergottes weiterverfolgen mit dem Glauben …«, Celena zauderte.
Glaube! Es hatte sie immer wieder verwundert, warum man den Schöpfergott um Hilfe anflehte, gleichzeitig aber kein Vertrauen zu ihm hatte. Warum hofften sie, wenn sie dachten, er hatte sie verlassen? Und trotzdem beteten sie zu ihm. Sie holte tief Luft und fuhr fort.
»Es ist, wie es Terzios sagt. Wie kann Glaube an den göttlichen Schöpfer existieren, wenn sie gleichwohl auf das Böse zugreifen, welches der Strafe dient. Glauben sie, weil er fort ist? Dann frage ich mich, warum betet man? Soll er zurückkommen?« Fragend blickte Celena in die Runde.
»Ich frage euch. Könnt ihr mir das erklären?«
Belothar war in sich gekehrt. Er schaute nicht auf. Wilna schien in sich einen Kampf auszutragen.
»Ich werde für euch antworten«, sprach Celena weiter. »Er war niemals fortgegangen.«
Die darauf folgende Stille wurde erneut von Belothar unterbrochen.
»Ihr meint, es gibt Nachfahren des göttlichen Schöpfers. Sie leben unter uns? Meint ihr das? Selbst wenn ich das glauben soll …«
Der König hielt inne, weil Celena ihn unverfroren unterbrach.
»Seht ihr«, fauchte sie auf. »Genau das meine ich: Selbst wenn ich das glauben soll«, äffte sie nach. »Und schon scheitert es daran. Man glaubt nicht daran, denn man sieht nichts und man weiß nicht, was er ist.«
Ihre Stimme nahm einen versöhnlichen Ton an.
»Mir ging es wie euch, Belothar. Doch ich glaube an eines seiner Kinder. Ich glaube an denjenigen, den er sandte. Dem er eine Vision zukommen
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