Vermächtnis der Sünder: Die Kinder des Einen (German Edition)
gegenüber, nur durch einen Tisch von ihr getrennt, stand ein Mann in schwerer Rüstung. Das Wappen auf dem Harnisch zeigte das Symbol der San-Hüter. Einem aus Legenden entsprungenen Mythos. Dem Grypos.
»Was in Karmastes Namen geht hier vor sich«, begann sie wütend und ohne Umschweife.
»Ihr wisst den Grund!«
»Ich verstehe nicht!« Celena presste ihre Lippen zusammen.
»Euer Geliebter. Wenn mich nicht alles täuscht, müsste er inzwischen in bester Gesellschaft sein.«
Der ungepflegte, langhaarige Mann umrundete den Tisch, hinter dem er gestanden hatte.
»Er ist allerdings nicht der alleinige Grund unseres Hierseins. Uns interessiert unter anderem, was ihr macht und wohin ihr geht. Und … das Buch in eurem Besitz. Ihr habt es vermutlich gelesen?«, fragte der Fremde lauernd.
»Ist es das, was ihr haben wollt?« fauchte Celena.
»Er ist ein Verräter an Osgosai. Das solltet ihr nicht vergessen.«
Celenas Augen verengten sich.
»Nein, das ist nicht der eigentliche Grund. Die Dokumente, der angebliche Hochverrat, das war eine Falle. Eure Malaine war eine Falle.«
»Ich stelle fest. Ihr seid ein kluges Kind. Nicht einmal eine Malaine konnte ohne Wohlwollen der Obrigkeit, schalten und walten, wie sie wollte. Dummerweise entschied sie sich gegen uns, also brauchten wir ein Druckmittel.«
»Was wollt ihr von mir?«
»Euch … und natürlich den Folianten. Alle Antworten sind möglicherweise darin enthalten. Oder habt ihr es nicht zu Ende gelesen?«
Das, hatte sie in der Tat nicht. Innerlich schalt sie sich dafür
»Was habt ihr nun vor?«
»Unter den jetzigen Umständen zieh ich es vor, zu gehen.«
»Das kann ich nicht zulassen«, zischte die junge Kriegerin.
»Oh, das solltet ihr aber. Sollte ich mich nicht melden oder lebend zurückkehren, wird man es eurem Geliebten anlasten.«
Celena ließ unwillkürlich ihre Klinge sinken. Lutek durfte auf keinem Fall etwas zustoßen. Mit fahlem Gesicht nickte sie verstehend.
»Schlaues Mädchen. Seid gewiss, wir werden uns wiedersehen. Möge der göttliche Schöpfer über euch wachen.«
Der Unrasierte machte Anstalten zu gehen. »Vielleicht wacht er ja tatsächlich. Dann aber würde ich euch raten, sich Morco anzuschließen. Es ist ganz alleine eure Entscheidung«, flüsterte er ihr im Vorbeigehen zu.
Kapitel 4
Die Ehrwürdige dieser kleinen Gemeinde akzeptierte den vor einigen Tagen ankommenden Neuankömmling als Laienbruder. Es interessierte sie nicht, was er war oder wer er war. Es schien ihn niemand zu kennen. Das sollte so bleiben. Trotzdem blieb Lutek vorsichtig. Er versuchte sich nicht, durch banale unachtsame Worte verdächtig zu machen.
Kontakte vermied er, soweit es möglich war. Allerdings heftete er sich an den Bibliothekar, der sichtlich erfreut war, einen Gehilfen an seiner Seite zu wissen. Bruder Fendro, so hieß er, war ein in die Jahre gekommener, redseliger Geselle. Der Mann war dem Wein nicht abgeneigt und liebte seine Bücher und Folianten über alles. Gerne sprach er über das eine oder andere Schriftstück aus der wahrhaft großen Sammlung dieses Hauses. In der kurzen Zeit, die Lutek bisher hier verbrachte und manchmal Bruder Fendro half, fiel ihm das seltsame Ordnungssystem auf. Stolz erklärte Bruder Fendro seine Erfindung.
»Ihr wisst sicherlich, dass üblicherweise sämtliche Werke nach dem Eingangsjahr sortiert werden«, sprach er mit gewichtiger Stimme. »Nicht hier. Jedes Buch hat einen Buchstaben, basierend auf den namentlichen Schriftsteller. Dahinter setze ich Zahlen.«
Lutek hörte aufmerksam zu. Es klang im ersten Moment kompliziert. War es aber nicht, wenn man es begriffen hatte. Während einer solchen Sortierarbeit fiel Lutek, auf das eine gewisse Gruppe von Büchern zu fehlen schien. Er sprach Bruder Fendro darauf an. Der wich mit einem nervösen Blick der Frage aus, erwähnte jedoch nachhinein, das eben diese Bücher flüstern würden.
»Es ist ein seit Jahrhundert andauerndes Gewisper«, raunte er Lutek zu. Was den jungen Mann nur noch neugieriger werden ließ.
In den folgenden Tagen beobachtete er den alten Mann, wie sich dieser heimlich an einer der gerundeten Nischen in der Haupthalle zu schaffen machte. Wie ein Dieb blickte Bruder Fendro um sich, bevor er in der verborgenen Tür verschwand. Irgendetwas Besonderes musste in den Katakomben unterhalb des Schöpferhauses sein. Diese Nacht, so nahm sich Lutek vor, wollte er dem auf den Grund gehen.
Geduldig wartete Lutek, bis es Dunkel wurde und er wartete eine weitere Zeitspanne ab,
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