Vermächtnis des Pharao
ihre Kapitelle Büschel von Trauben sein. Schon ist der Palast von Gemälden bedeckt; alle Tiere und Blumen des Schwarzen Landes huldigen dem einen Gott. Die Flußvögel brechen aus den Papyrusbüschen und entkommen dem Vogeljäger. Kälber tanzen auf den Wiesen und Rehe springen durch den Wald. Decken und Säulengänge sind übersät von Gänseblumen und Disteln, von Lotos und Binsen. Jeder Hof hat seinen Brunnen, und die Sakkieh-Räder schöpfen das Wasser aus dem Fluß, so daß wir aus der Wüste das Grün hervorgelockt haben.
In der Halle der tausend Säulen sind die Einlegearbeiten aus schwarzem Granit und rotem Quarzit; die Zellen der Konkubinen sind ausgeschmückt mit Szenen der Vorbereitung auf die Ankunft des Königs. Die bemalten Fußböden sind ein Triumph und ein Genuß für die Augen. Wir haben einen Boden aus Lehmziegeln gelegt und ihn mit einer Mörtelschicht bedeckt. Diese wurde mit einer mit feinem Mädchenhaar gebundenen Putzschicht überzogen, und darauf haben wir gemalt. Die Farben haben wir aufgetragen, als der Putz noch naß war und sich mit dem Pinsel sogar noch modellieren ließ - die Formen sollten so natürlich wie möglich sein. Als die Malereien vollendet und eingetrocknet waren, wurden sie poliert und wasserfest gemacht. So werden die Farben niemals verblassen, und wenn das Reich doppelt so alt ist wie heute.
Wir haben jetzt vier Glasfabriken und zwei Glasierwerkstätten, aber noch immer bringen Barken von der Küste Töpfereigefäße aus Kheftyu und Glas aus Byblos. Es ist nie genug, um auch nur den Palast und den hohen Tempel zu schmücken. Nur aus Jaspis und Alabaster will der König seine eigenen Figurinen gefertigt sehen, und auch die der Königin und der Prinzessinnen. Doch nicht nur diese. Auch die Votivskarabäen, -fische und -skorpione dürfen aus nichts Geringerem gemacht sein. Aller Reichtum ist hier, und unsere Handwerker arbeiten mit einer Schöpferkraft, so fruchtbar wie Weizen auf gutem Boden. Die Zedernholztüren sind überzogen von gehämmertem Gold.
In den Jahren des Bauens ist der König durch die Stadt geschritten wie jemand, dem die Zeit selbst auf den Fersen ist; er hat dies ausgewechselt, jenes geändert, derweil Gott mit ihm geht und sein Auge schärft. Er gewähre uns nur...
Huy ließ das Papier fallen. Wie töricht waren Menschen, die solcher Begeisterung nachgaben. Der Lärm draußen auf der Straße kam von Leuten, die ihre Habseligkeiten auf Karren packten. Einen Tag nach der Investitur des jungen Königs hatten General Haremheb und der Regent Ay bekanntgegeben, daß der Hof in die Südliche Hauptstadt zurückkehren werde. Die Südliche Hauptstadt war überdies das Zentrum der Amun-Verehrung. Die Wiederherstellung des gigantischen alten Palastes Amenophis’ III. hatte schon begonnen; er würde rechtzeitig zum Neuen Jahr fertig werden, zum Fest des Opet nach Beginn des nächsten Hochwassers im Mittsommer. Mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit hatte die Stadt des Horizonts begonnen auszubluten. Die Menschen strömten davon, auf der Suche nach Arbeit, und sie nahmen mit, was sie gebrauchen konnten. Tehuty und seine Kollegen arbeiteten bis zum Umfallen daran, die Archive auszuräumen und zu verpacken. Die Gebäude, von denen Bek nur ein Kinderleben zuvor mit so viel Stolz geschrieben hatte, waren bereits vom Schutt der Plünderung übersät. Bevor der Herbst zu Ende ginge, wäre der Ort eine Geisterstadt.
Und ich bin einer der Geister, dachte Huy. Er konnte nichts außer dem, was er gelernt hatte, und ohne diese Möglichkeit, seine natürliche Weisheit zu kanalisieren, würde seine Intelligenz verkümmern. Anscheinend waren nur sehr wenige in seiner Lage; Vergebung bei Widerruf, das war die allgemeine Regel für diejenigen gewesen, die im Dienste des alten Königs gestanden hatten - dies, oder Verbannung oder der Tod. Vielleicht hätte ein solches Schicksal auch ihn ereilt, wäre da nicht ein anonymer Vorgesetzter, der für ihn eingeschritten sein mußte.
Der Gedanke ermutigte ihn. Er war in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt, und er hatte sein Haus behalten dürfen. Aber wie sollte er seinen Lebensunterhalt verdienen? Seine Vorräte an Bier und Weizen schwanden dahin und er sah sich gezwungen, Gerstenbrot zu essen — eine geringfügige Demütigung vor dem Bäcker, die ihm aber trotzdem zu schaffen machte.
Das einzige, was ihn stets als Alternative zum Schreiberleben gelockt hatte, war die Arbeit auf dem Fluß. Selbstverständlich war es
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