Vermächtnis des Pharao
und somit nicht zu fürchten war. Jetzt, da der Aton-Ketzerei offenbar gründlich der Garaus gemacht worden war und die alten Götter ihren Platz wieder eingenommen hatten, bekam er allmählich das Gefühl, diese Pose ablegen und wieder in die politische Arena treten zu können. Aber sein Instinkt riet ihm, die Maske nicht fallen zu lassen.
Das war ihm in bewundernswerter Weise gelungen, aber - wie er sich wehmütig eingestand - selbst der vorsichtigste Mann verstaucht sich gelegentlich in einem Schlagloch den Knöchel. In seinem Fall war das Schlagloch ein Mädchen namens Mutnofret. Ein Mädchen? Eine Frau! Eine hochgewachsene, schlanke Frau, deren Vater aus Mitanni gekommen war - sie hatte die hohen Wangenknochen jenes Volkes.
Er beschwor sie vor sein geistiges Auge und entkleidete sie dort. Er pries die dunkle Kupferhaut, die langen Beine, die hohen Hinterbacken. Ihre Hüften waren schmal wie die eines Knaben, ihre Brüste aber fest und voll. Sie hatte breite Schultern und einen muskulösen Rücken, und ihre Arme besaßen Kraft, anders als die weichen Arme der Hofdamen, die er gekannt hatte. Anders als diese trug sie ihr eigenes Haar und keine Perücke; sie wusch und ölte es leicht, so daß es glänzte. Ihr Haar war nicht schwarz wie das einer reinblütigen Ägypterin, sondern von tiefem Kastanienbraun, glatt und weich. Ihre Augen waren groß und dunkel, das Weiße in ihnen aber strahlend hell, und sie schienen immer etwas für sich zu behalten.
Amotju liebkoste jede Einzelheit in seiner Vorstellung und er wußte, daß er sie nicht aufgeben konnte, daß er nicht aufhören konnte, zu kämpfen, bis er sie vollständig besäße. Doch bei diesem Gedanken zog ein Schatten durch sein Herz. Als ob irgend jemand sie besitzen könnte! Sie war es, die alles entschied, und momentan entschied sie sich nicht dafür, ihren Hauptliebhaber zu verlassen: den Priester Rechmire, den Wächter des Osiris-Tempels in der Südlichen Hauptstadt und Aufseher beim Wiederaufbau des Palastes.
So mächtig Amotju auch war, er verfügte doch weder über die Kontakte noch über die Mittel, die sein älterer Rivale besaß. In den Jahren, da die alte Priesterschaft in den Untergrund getrieben worden war, hinaus in die Oasen und weit hinunter in den Süden, oder auch in die Wüste und bis an die Küste des Östlichen Meeres, war dieser Mann immer einflußreicher geworden. An die Macht zurückgekehrt, hatten die Anhänger des Amun der Südlichen Hauptstadt neues Leben eingehaucht. Sie hatten einen Pharao und einen General, die sie wieder unterstützten -- Haremheb hatte angefangen, öffentlich im Osiris-Tempel zu beten, sowie er aus der Stadt des Horizonts zurückgekehrt war. Amotju dankte seinem Ka, daß er nicht ein Opfer der Hexenjagden geworden war, denen die Anhänger des Aton ausgesetzt waren.
Wie weit Rechmire ahnte, daß er einen Rivalen hatte, wußte Amotju nicht. Mutnofret gestattete nicht, daß der andere Teil ihres Lebens erörtert wurde; aber er wußte, daß sie diskret war, und sei es nur um ihrer selbst willen, und ihre Leidenschaft beim Liebesspiel überzeugte ihn, daß es sich lohnte, für sie ein Risiko einzugehen. Aber trotzdem...
Einen Monat zuvor hatte er die Speiseopfer erst gegen Abend zum Grab seines Vaters gebracht, und nur ein Diener hatte ihn begleitet. Es war ein Pflichtbesuch, denn Amotju war reich genug, um sich für diese Aufgabe festangestellte Totenpriester zu leisten; aber er verdankte seinem Vater viel und konnte nie sicher sein, daß der Ba des alten Ramose nicht gelegentlich vorwurfsvoll über ihm schwebte. Amotju zog es deshalb vor, den Ka des Alten zu besänftigen; der zwar mächtiger war als der Ba, aber wenigstens das Grab nicht verlassen konnte.
An diesem Abend war niemand in diesem Teil des Tales, wenngleich zwei nahegelegene Grabstätten erst kürzlich versiegelt worden waren, und eigentlich Wachtposten davor hätten stehen müssen. Aber trotzdem war noch jemand da gewesen, denn er hatte Geflüster gehört und den Schein einer Fackel auf dem Felsen gesehen, und für ein Tier, selbst für einen leichtfüßigen Schakal, war die kleine Lawine aus Steinen und Staub, die in der Nähe niedergegangen war, zu groß gewesen; ein plumper menschlicher Fuß aber konnte sie losgetreten haben. Da Amotju nur einen Diener bei sich hatte, beschloß er, nicht nachzuschauen. Als er jedoch wieder zu Hause war, schickte er einen Mann los, der die Sache den Medjays meldete, und ließ wieder Wachen vor das Grab seines
Weitere Kostenlose Bücher