Vermächtnis des Pharao
beide an ihrer Karriere gearbeitet, in verschiedenen Städten, die zwei Tagesreisen auf dem Fluß voneinander entfernt lagen.
»Es kann nicht bloß Zufall sein, daß wir uns wiedertreffen«, sagte Amotju später. »Warum ergreifst du nicht die Gelegenheit und kommst mit mir?«
»Schnelle Entschlüsse liegen mir nicht«, antwortete Huy, aber er merkte, daß sein Puls sich beschleunigte. Zwei tönerne Weinkrüge lagen leer neben ihnen, und sie saßen mit gekreuzten Beinen einander gegenüber auf dem Achterdeck, die Gesichter angestrahlt vom letzten Feuerschein des Ra, der gerade hinter den Hügeln der Toten verschwand.
»Hier gibt es nichts, was dich hält und alles zieht dich dorthin.«
Huy spürte sein Blut jetzt rasen. Sein Leben lang hatte immer alles fest und sicher gewirkt, aber die letzten paar Monate waren wie eine Wanderung durch die Wüste gewesen, und er hatte genug davon. Hier war die Gelegenheit. Er würde sie nutzen.
»Warum nicht?« sagte er.
Amotjus Angebot, Leute zu schicken, um seine Sachen zu holen, hatte er abgelehnt - Fremde hätten sein Haus im Labyrinth der dunklen Straßen niemals finden können. Amotju war indessen erstaunt gewesen, daß Huy allein gehen wollte, und Huy mußte daran denken, daß nicht einmal er die Angst vor Geistern, die jenseits des Feuerscheins lauerten, ganz abgeschüttelt hatte, vor den körperlosen Toten, jenen Unglückseligen ohne Gedächtnisstatuen, deren Mumien im Wasser verrottet sind und die sich jetzt, da sie keine Behausung mehr haben, eine neue suchen müssen, indem sie einem lebenden Menschen das Herz aus dem Leibe reißen und fressen. Echnaton hatte solchen Glauben als Märchen abgetan, die von den Priestern ausgedacht wurden, aber die Überlieferung reichte in die Zeit vor den Pyramiden zurück, und sie war tausend Jahre alt. Huy hatte eine Eskorte akzeptiert, obwohl der rationale Teil seines Herzens ihm sagte, daß Amotju die Leute vor allem deshalb mitschickte, weil er sichergehen wollte, daß Huy es sich nicht doch noch anders überlegte.
Das Haus schnell zu verlassen, war gut gewesen; so blieb keine Zeit für Sentimentalität oder Reue. Die Bootsleute dabei zu haben, hatte ebenfalls geholfen, aber er hätte es sich auch ohne sie nicht anders überlegt. Sein kleines Haus war kalt und dunkel, lieblos und ungeliebt; es war ebenfalls zu einem Geist geworden. Sein Leben darin war längst Vergangenheit. Er nahm seine teure Ochsenledertasche und legte die zwei oder drei übriggebliebenen Papyrusrollen hinein, auf die er nicht verzichten konnte, dazu seine Schreiberpalette, ein paar Goldbarren, die bis jetzt überlebt hatten, und nach einigem Zögern auch die kleine Statue des Hausgottes Bes; er hatte Aahmes bei ihrer letzten Begegnung versprechen müssen, daß er diesen kleinen Beschützer immer bei sich behalten würde, und sie hatte dabei Tränen in den Augen gehabt.
Als er die Tür zum Hof geschlossen hatte, wandte er sich ab, ohne noch einen letzten Blick auf alles zu werfen, oder sich von dem Ort zu verabschieden, an dem er früher einmal glücklich gewesen war. Auch dieses Glück war jetzt ein Geist. Seine Gedanken galten jetzt der Wärme der Gesellschaft an Bord, dem Abendessen mit gebratener Ente und Hirse. Der Mond stand schon am Himmel, Chons in seinem Wagen, und er verwandelte den Sand, der an die Mauern der verlassenen Häuser geweht war, in zartes Silber. Huy atmete die samtene Luft ein, umfaßte das Auge des Horus an seinem Hals, das dort allem Einfluß des Neuen Denkens zum Trotz immer gehangen hatte, und ging schnell den winzigen Lichtern entgegen, die die Barke umgaben.
Amotju war einer von denen, auf die das Leben beständig lächelte. So groß war sein Glück gewesen, daß er inzwischen von Zeit zu Zeit die Befürchtung nicht unterdrücken konnte, er versuche die Vorsehung, und früher oder später würde der Tag kommen, da ihn das Glück verlasse. Von seinem Vater hatte er nicht nur die Flotte geerbt, sondern auch einen nüchternen Sinn für das Geschäft und einen starken Selbsterhaltungstrieb, und so war es ihm gelungen, in den unruhigen Jahren, die jetzt anscheinend zu Ende gingen, nie verbindlich für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. Die Dienste, die sein Unternehmen leistete, waren für alle Politiker viel zu wichtig, als daß ihm seine Unentschiedenheit hätte schaden können. Er hatte nur unfehlbar höflich sein und den Ein-
druck eines Mannes machen müssen, der charmant, aber ein bißchen begriffsstutzig -
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