Vermächtnis
Pro-Kopf-Salzverbrauch liegt weltweit bei 9 bis 12 Gramm, das Spektrum liegt meist zwischen 6 und 20 Gramm (und in Asien ist die Menge höher als irgendwo sonst).
Traditionell kommt Salz aber nicht aus dem Salzstreuer, sondern man musste es auf irgendeine Weise aus der Umwelt gewinnen. Stellen wir uns einmal vor, wie die Welt aussah, als Salzstreuer noch nicht allgegenwärtig waren. Damals bestand das Hauptproblem nicht in der Ausscheidung des Salzes, sondern in seiner Beschaffung. Die meisten Pflanzen enthalten nur sehr wenig Natrium, Tiere brauchen Natrium aber in großen Mengen für alle ihre extrazellulären Flüssigkeiten. Fleischfresser können also leicht die benötigten Natriummengen aufnehmen, indem sie Pflanzenfresser fressen, die das Element bereits im Umfeld ihrer Zellen angereichert haben. Die Pflanzenfresser dagegen können sich Natrium nur unter Schwierigkeiten beschaffen. Deshalb kommen Rehe und Antilopen zu Salzlecksteinen, nicht aber Löwen und Tiger. Menschen wie die Inuit und San, die als Jäger und Sammler solches Fleisch verzehrten, konnten also ihren Salzbedarf ohne weiteres decken, aber auch sie nahmen im Durchschnitt nicht mehr als 1 bis 2 Gramm Salz am Tag auf, weil das natriumreiche Blut und andere Körperflüssigkeiten ihrer Beutetiere beim Zerlegen und der Zubereitung des Fleisches zum größten Teil verlorengingen. Unter den traditionellen Jägern und Sammlern sowie den Bauern hatten diejenigen, die in Küstennähe oder im Landesinneren in der Nähe von Salzvorkommen wohnten, ebenfalls leichten Zugang zu Salz. Beim Volk der Lau auf den Salomonen zum Beispiel, die an der Küste leben und Salzwasser zum Kochen verwenden, liegt der tägliche Pro-Kopf-Salzverbrauch bei durchschnittlich 10 Gramm; das Gleiche gilt für die Viehzüchter vom Volk der Qashga’i im Iran, in deren Heimat es an der Bodenoberfläche natürliche Salzvorkommen gibt.
Bei Dutzenden anderen Gruppen traditioneller Jäger und Sammler oder Bauern, deren täglichen Salzkonsum man berechnet hat, liegt er unter 3 Gramm. Der niedrigste belegte Wert gilt für die Yanomamo-Indianer in Brasilien: Ihr Grundnahrungsmittel sind die natriumarmen Bananen, und sie scheiden täglich im Durchschnitt nur 50 Milligramm Salz aus – ein Zweihundertstel der Menge bei einem typischen US -Amerikaner. Nach Analysen der Organisation Consumer Records enthält ein einziger Big-Mac-Hamburger 1500 Milligramm (d.h. 1 , 5 Gramm) Salz, also die Menge, die ein Yanomamo-Indianer in einem Monat zu sich nimmt; und eine Dose Hühnernudelsuppe (die 2 , 8 Gramm Salz enthält) entspricht dem Salzverbrauch eines Yanomamo in nahezu zwei Monaten. Einen Rekord stellte möglicherweise ein chinesisch-amerikanisches Restaurant in der Nähe meines Wohnortes in Los Angeles auf: Seine »double pan-friednoodlescombodish« enthielt Berichten zufolge die Salzmenge, die ein Yanomamo in einem Jahr und drei Tagen zu sich nimmt: 18 , 4 Gramm.
Traditionelle Völker lechzen also nach Salz und nehmen große Mühe auf sich, um es zu beschaffen. (Auch wir haben ein Bedürfnis nach Salz: Man versuche einmal, einen Tag lang nur frische, unverarbeitete, ungesalzene Lebensmittel zu sich zu nehmen, dann merkt man, wie köstlich es schmeckt, wenn man am Ende Salz auf das Essen streut.) Die Ernährung der Hochlandbewohner im Osten Neuguineas, mit denen ich gearbeitet habe, besteht zu 90 Prozent aus den natriumarmen Süßkartoffeln; sie erzählten mir, wie sie sich noch vor wenigen Jahrzehnten anstrengen mussten, um sich Salz zu beschaffen – zu einer Zeit, als die Europäer es noch nicht als Handelsware mitbrachten. Sie sammelten die Blätter bestimmter Pflanzenarten, verbrannten sie, kratzten die Asche zusammen, ließen Wasser hindurchlaufen, um die Feststoffe zu lösen, und erhielten nach dem Verdampfen des Wassers schließlich eine kleine Menge bitteres Salz. Das Volk der DugumDani im westlichen Hochland Neuguineas gewann Salz aus den beiden einzigen natürlichen Salztümpeln in ihrem Tal; dazu legten sie ein schwammartiges Stück eines Bananenstrunks in den Tümpel, wo er die Salzlake aufsaugte; dann wurde das Stück herausgenommen, an der Sonne getrocknet und zu Asche verbrannt; man feuchtete die Asche mit Wasser an, und die Masse wurde zu Kuchen geknetet, die man essen oder eintauschen konnte. Angesichts dieser Mühen, mit denen traditionelle Völker kleine Mengen unreines, bitter schmeckendes Salz herstellten, ist es nicht verwunderlich, dass Neuguineer, die im
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