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Vermächtnis

Vermächtnis

Titel: Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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dem Mark der Sagopalme die wichtigsten Kalorienlieferanten. Wer Geld besaß, kaufte sich im Handel kleine Lebensmittelmengen als Luxusgüter: Cracker, Dosenfisch sowie ein wenig Salz und Zucker.
    Zu den vielen Dingen, die mich damals an den Neuguineern beeindruckten, gehörte ihre körperliche Verfassung: Sie waren schlank, muskulös und körperlich aktiv; alle erinnerten an durchtrainierte Bodybuilder im Westen. Wenn sie keine Lasten trugen, liefen sie im Trab über steile Gebirgspfade, und wenn sie schwer zu schleppen hatten, hielten sie den ganzen Tag das Gehtempo mit, das ich ohne Gepäck an den Tag legte. Ich erinnere mich noch an eine kleine Frau, die anscheinend nicht mehr als 45  Kilo wog: Sie trug auf dem Rücken einen mehr als 30  Kilo schweren, an einem um die Stirn gelegten Gurt befestigten Reissack durch Flussbetten voller Felsbrocken bergauf. Während dieser ganzen ersten Jahre sah ich in Neuguinea keinen einzigen fettleibigen oder auch nur leicht übergewichtigen Einheimischen.
    Krankenhausakten aus Neuguinea und die ärztliche Untersuchung von Neuguineern bestätigen dieses Bild einer guten Gesundheit – jedenfalls teilweise. Die nicht übertragbaren Krankheiten, an denen heute die meisten Bewohner der Ersten Welt sterben – Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt, Arteriosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Allgemeinen und Krebs –, waren bei den traditionellen Bewohnern der ländlichen Gebiete Neuguineas selten oder unbekannt. Dass solche Krankheiten fehlten, lag nicht nur an der geringen Lebenserwartung: Sie traten auch bei jenen Neuguineern nicht auf, die das 60 ., 70 . oder 80 . Lebensjahr erreichten. Eine Übersichtsuntersuchung aus den frühen 1960 er Jahren, in der 2000 Neuaufnahmen der medizinischen Station am allgemeinen Krankenhaus von Port Moresby (der Hauptstadt und größten Stadt des Landes) erfasst wurden, fand sich kein einziger Fall von koronarer Herzkrankheit, und es gab nur vier Fälle von Bluthochdruck, alle bei Patienten mit gemischter ethnischer Herkunft und kein einziger bei reinen Neuguineern.
    Das heißt nicht, dass die traditionellen Neuguineer sich eines sorgenfreien Gesundheits-Utopia erfreut hätten. Das ganz gewiss nicht. Die meisten von ihnen lebten – und leben noch heute – kürzer als wir im Westen. Die Krankheiten, an denen sie starben – wenn sie nicht durch Unfälle oder Gewalt zwischen Menschen ums Leben kamen –, sind als Todesursachen in der Ersten Welt weitgehend ausgerottet: Magen-Darm-Infektionen mit Durchfall, Atemwegsinfektionen, Malaria, Parasiten, Mangelernährung und Sekundärerkrankungen von Menschen, die durch eine der genannten Primärerkrankungen bereits geschwächt waren. Obwohl wir also im Westen die traditionellen Krankheiten gegen eine ganze Reihe moderner Leiden eingetauscht haben, erfreuen wir uns einer besseren Gesundheit und eines längeren Lebens.
    Schon 1964 erschienen die neuen Todesursachen der Ersten Welt auch in Neuguinea auf der Bildfläche; betroffen waren Bevölkerungsgruppen, die am längsten mit Europäern in Kontakt standen und deren Ernährung und Lebensweise übernommen hatten. Heute ist die Verwestlichung von Ernährung, Lebensstil und Gesundheitsproblemen in Neuguinea in vollem Gange. Zehntausende, vielleicht auch Hunderttausende von Neuguineern arbeiten mittlerweile als Geschäftsleute, Politiker, Piloten oder Computerprogrammierer, beziehen ihre Nahrung aus Supermärkten und Restaurants und bewegen sich nur wenig. In großen und kleinen Städten mit ihrem westlich geprägten Umfeld sieht man häufig übergewichtige oder fettleibige Neuguineer. Eine der weltweit größten Diabeteshäufigkeiten (schätzungsweise 37  Prozent) findet man beim Volk der Wanigela, das als erste Bevölkerungsgruppe Neuguineas in großem Umfang westlich geprägt wurde. Bei Stadtbewohnern wird heute über Herzinfarkte berichtet. Seit 1998 arbeite ich in Neuguinea auf einem Ölfeld, wo die Arbeiter dreimal täglich ihre Mahlzeiten am Buffet einer Cafeteria einnehmen: Sie bedienen sich selbst, und auf jedem Tisch stehen ein Salz- und ein Zuckerstreuer. Neuguineer, die nach der traditionellen Lebensweise auf dem Dorf mit begrenzter, unberechenbarer Lebensmittelversorgung aufgewachsen sind, häufen sich angesichts eines solchen Schlaraffenlandes den Teller bei jeder Mahlzeit so voll wie möglich und drehen über Steaks und Salat immer wieder den Salz- und Zuckerstreuer um. Der Ölkonzern stellte deshalb ausgebildete

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