Vermaehlung um Mitternacht
schadete wohl nicht, wenn sie noch ein paar Augenblicke sitzen blieb. Alec war nirgends zu entdecken, und Lady Birlington war gerade in ein Gespräch mit der Dowager Duchess of Roth vertieft. „Also gut. Lieber wäre mir allerdings ein Glas Sherry.“
Er verneigte sich. „Wie Sie wünschen, meine Liebe. Wenn ich wieder da bin, wollen wir unser Glas auf die Testamentsvollstrecker erheben und darauf, dass sie die richtige Entscheidung treffen.“ Mit einem Lächeln verschwand er in Richtung des Erfrischungsraums.
Der heutige Abend ist bis jetzt eine vollkommene Zeitverschwendung, überlegte Julia. Trotz des viel versprechenden Anfangs war alles schief gelaufen. Es gab keinen Grund, noch länger zu verweilen. Sie würde zu Lady Birlington gehen, sich entschuldigen und dem schmerzlichen Abend ein Ende bereiten.
Nick kehrte zurück und überreichte ihr ein Glas. „Es gab keinen Sherry, also war ich leider gezwungen, doch auf den Wein zurückzugreifen.“
Sie nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. „Viel zu süß.“
„Trinken Sie ihn trotzdem. Wir müssen ein bisschen Farbe in Ihre Wangen bekommen.“ Er hob die Hand zu ihrem Gesicht, doch Julia wich vor ihm zurück.
„Beherrschen Sie sich, Nick. Hier sind überall Leute.“
„Und wenn wir allein wären?“
„Dann hätten Sie statt eines zwei blaue Augen“, erwiderte sie schlagfertig und trank noch einen Schluck. Je rascher sie ihr Glas leerte, desto eher könnte sie sich davonmachen.
Nick lachte leise. „Sie kann auch nichts erschüttern, was?“
Julia ignorierte ihn und nahm noch einen Schluck Wein. Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sie sich ruhig und entspannt, als hätte sie keinerlei Sorgen auf dieser Welt. Vielleicht sollte sie Alec suchen und ihm mitteilen, wie albern ihr Streit doch sei.
Aber nein. Alec wollte sie ja nicht.
Bei dem Gedanken stiegen ihr unerwartet Tränen in die Augen. Rasch trank sie noch einen Schluck, um sie zu vertreiben. Nun war nur noch ein Schlückchen übrig, und das schmeckte erstaunlich bitter. Julia erschauerte.
Nick beugte sich vor; sein Stuhl stand viel zu dicht an ihrem. „Ich wollte Ihnen schon die ganze Zeit sagen, wie hübsch Sie ohne Ihre Brille aussehen.“
Obwohl sie seine Dreistigkeit ärgerte, wurden all die negativen Gedanken von einer angenehmen Trägheit erstickt. „Ich wünschte, ich hätte sie heute Abend getragen. Ich habe mich auf dem Bild nämlich beinahe nicht erkannt.“
„Es hat mich verblüfft, wie rasch Sie Therese auf ihren Platz verwiesen haben.“ Nicks Stimme war ganz dicht an ihrem Ohr, sein Arm streifte ihre Schulter. „Selten hatte ich eine so würdige Gegnerin.“ Er hob ihre Hand an und drückte ihr einen Kuss aufs Handgelenk.
Julia wusste, dass sie die Hand zurückziehen sollte, doch ihr Arm war auf einmal unglaublich schwer. Sie blinzelte und beobachtete mit beinahe teilnahmslosem Interesse, wie ihr das Weinglas aus der Hand glitt.
Nick fing es auf. „Vielleicht brauchen Sie ein wenig frische Luft, meine Liebe.“
Ja, genau das brauchte sie. Frische Luft, um den Nebel zu vertreiben, der sich auf ihr Hirn herabgesenkt hatte. Julia stand auf und wäre fast gestolpert, weil ihre Knie unter ihr nachgaben. Nick hielt sie aufrecht, indem er ihr den Arm um die Taille schlang.
Julia lehnte sich an ihn. „Es ist so heiß hier drin. Ich kriege keine Luft.“
„Halten Sie sich an mir fest. Wir haben es nicht weit.“
Vage bekam sie mit, dass er sie auf die Terrasse zu führte. Sie hatte den Eindruck, als hätte sich der Ballsaal in einen langen blauen Tunnel verwandelt. Gesichter wandten sich ihr zu, Geflüster schien im Raum wie lautes Geschrei widerzuhallen. Julia konzentrierte sich darauf, einen bleischweren Fuß vor den anderen zu setzen.
Nach einer halben Ewigkeit erreichten sie endlich die Terrasse, und die kühle Nachtluft blähte ihr dünnes Seidenkleid, so dass Julia fröstelte. Aber der Nebel lichtete sich nicht. Stattdessen verdichtete er sich noch, bis sie gezwungen war, sich an Nick zu lehnen. Sie musste sich furchtbar anstrengen, um sich aufrecht zu halten.
Die Welt schwankte in die eine, dann in die andere Richtung. „Lieber Gott, was ist bloß los mit mir?“ Sie fand selbst, dass sie lallte.
„Ach, das ist bloß die kleine Dosis Laudanum.“
Irgendwo weit entfernt ließen diese Worte eine Alarmglocke schrillen. Aber Julia brachte nicht mehr genügend Energie auf, um mehr zu tun, als einen Protest zu murmeln.
„Kommen Sie, Julia“, flüsterte er
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